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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter
Autoren: Michael Innes
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Ausbessern geschickt – die Schnürsenkel
waren ganz zerfetzt und verknotet gewesen, und ich hatte ein Paar neue eingezogen
und ihm die alten wieder mit dazugelegt. Und am nächsten Tag kam der Schwachkopf
Tammas mit den Schnürsenkeln in der einen Hand und den Münzen für meine Rechnung
in der anderen – nur daß ein halber Penny fehlte, weil er die alten Schnürsenkel
zurückgab; und hätte ich nicht Zahlbar ohne Abzug in großen
Lettern auf die Rechnung geschrieben, so hätte er sich wohl auch noch Skonto abgezogen. Aber
daß Guthrie ein merkwürdiger Kerl war, hieß noch lange nicht, daß man jedem hergelaufenen
Londoner etwas über ihn erzählte, und ich habe dem Burschen ordentlich meine Meinung
gesagt. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn in der folgenden
Woche erschien ein ganzes Rudel Ärzte.
    Kinkeig stand Kopf: ein Wagen voller Mediziner in Bratenröcken und
Angströhren, als seien sie immer schon für das Begräbnis ihrer Patienten
angezogen; drei vom Edinburgher Moray Place und eine dicke Schießbudenfigur aus
der Harley Street in London. Sie kamen zu Dr.   Jervie – der alles andere als
begeistert war, aber sein Bruder war ein Kollege des Mannes vom Moray Place,
und da konnte er nicht nein sagen –, und von dort ging’s das Tal hinauf nach
Erchany. Was sich dort zutrug, wissen die meisten von Gamley, der am selben Tag
vom Bauernhof des Gutes heraufgekommen war, um sich seine Instruktionen zu
holen. Die Ärzte gingen ins Haus und blieben etwa eine halbe Stunde – so lange
brauchte Guthrie wohl, bis er dahinterkam, worauf sie aus waren. Dann war die
Hölle los – mit Zerberus an vorderster Front, denn diesmal hetzte Guthrie
wirklich die Hunde auf sie. Und so verließen die Herren Doktoren hurtig das
Haus und sahen zu, daß sie auf die andere Seite des Burggrabens kamen, sie
schimpften und fluchten, und der Londoner hielt sich das Hinterteil, da wo der
wildeste der Hunde – ein grausiger Köter, das muß man sagen – kräftig
zugebissen hatte. Wie der Wind saßen sie wieder in ihren Automobilen und waren
zurück beim Pfarrhaus, und der Dicke brüllte wie ein Baby, dem die Amme gerade das
Fell über die Ohren zieht. Und später – im Stehen, an Dr.   Jervies Anrichte – schrieb er dann einen langen Bericht an die Vettern in Amerika. Das von
Natur aus warme und gutherzige menschliche Wesen, hieß es darin, sei Ranald
Guthrie durch das Trauma der Geburt abhanden gekommen. Und es sei ein Jammer,
daß er in den jungen Jahren, die ihn prägten, nie ein Stück Knetgummi zum
Spielen gehabt habe – vielleicht hätte sogar ein ordentlicher Klumpen Lehm
gereicht –, denn dadurch hätte noch alles gut werden können. So wie es heute
mit ihm stehe, sei sein Betragen äußerst unerfreulich und zeige alle Anzeichen
einer schwer gestörten Psyche; aber ins Irrenhaus gehöre er deswegen
ebensowenig wie die Auftraggeber der Doktoren. Als Prognose gab er nach
reiflichem Überlegen, daß sich der Zustand von Mr.   Ranald Guthrie sehr wohl
verschlechtern könne, und die amerikanischen Vettern sollten die Hoffnung nicht
aufgeben. Allerdings sei auch vorstellbar, daß sein Zustand sich bessere, und
ebenso denkbar sei, daß er unverändert bleibe. Und dabei ließ der Gelehrte aus
der Harley Street es bewenden, fügte noch eine Rechnung von einer Guinee
für jede Meile von London hinzu und eine Schmerzensgeldforderung von gleicher
Höhe – obwohl die bissige Promenadenmischung nichts von ihm behalten hatte, was
er nicht entbehren konnte, vollgefressen wie er war, und wer wollte einem Hund,
der bei Guthrie auskommen mußte, schon den kleinen Extrabissen mißgönnen? Nun,
wie dem auch sei, das war zumindest für eine Weile das letzte, was wir von den
amerikanischen Verwandten hörten, die den Guthrie-Besitz an sich bringen wollten.
Guthrie hatte ihnen allem Anschein nach übel mitgespielt, deshalb der Versuch.
    Das und noch einiges mehr hatte ich von Dr.   Jervie erfahren, denn
ich saß mit ihm im Kirchenrat, und so berieten wir bisweilen über die ernsteren
Dinge, die sich in der Gemeinde zutrugen. Mehr als nur einmal waren wir in
Gedanken bei den Leuten auf Erchany gewesen, denn es gab ein junges Mädchen, um
das unser Pfarrer sich große Sorgen machte, Christine Mathers. Doch davon
später mehr; jetzt will ich von den Vogelscheuchen erzählen – und mehr als das
waren sie ja nicht, auch wenn sie manch einem wie Gespenster vorkamen.
    Nun, jedermann in Kinkeig wußte, wie Guthrie regelrecht
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