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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter
Autoren: Michael Innes
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so
schnell ihre kurzen Beine sie tragen konnten, denn man darf wohl annehmen, daß
sie eine Heidenangst vor Guthrie und seinem bösen Blick hatten, auch wenn sie
noch so dreist ihren Schabernack mit ihm getrieben hatten. Doch Guthrie ging
geradewegs zurück zum Herrenhaus, holte eine Handvoll Münzen und kam zum
Bauernhof; dort legte er die Münzen vor Gamley auf den Tisch, schimpfte die
Zwillinge Bastarde und ihre Mutter noch Schlimmeres und gab ihnen
vierundzwanzig Stunden Zeit, sein Land zu verlassen. Gamley war nur ein
Angestellter; es blieb ihm nichts anderes übrig als fortzugehen, und so ging er
denn – und sprach, erzählte seine Frau, kein einziges Wort, ging nur durchs
Haus, packte Sachen zusammen, das Gesicht so weiß wie ein Schafsschädel, den
man ausgebleicht auf der Heide findet. Nicht einmal die Zwillinge legte er
übers Knie, und seine Frau machte sich Sorgen, daß er den Verstand verlor. Doch
gewiß wäre es eher Guthrie gewesen, dem er gern eine Tracht Prügel versetzt
hätte.
    Die Gamleys zogen fort, in die Gegend jenseits des Ben Cailie, zehn
Meilen das Seeufer hinab; dort konnten sie auf Anhieb einen Hof übernehmen – arm genug, wie sich herausstellte, als der Winter kam. Sie hausten in einer
Kate, erzählten die Leute, die kaum den Wind und den Regen abhielt; denn zwar
hatte sich Gamley ein wenig erspart, doch etwas Besseres war in so kurzer Zeit
nicht zu finden gewesen. Alle fanden, daß es eine Gemeinheit war, was Guthrie
ihnen da angetan hatte, und mehr denn je wurde sein Name in Kinkeig nur mit
Verachtung genannt. Die Alten wärmten ihre Geschichten von den verrückten
Guthries und den mörderischen Guthries früherer Zeiten auf; und von den guten
Guthries und den lustigen Guthries war nun überhaupt nichts mehr zu hören,
obwohl die Alten auch solche Geschichten kannten. Und irgend jemand brachte die
dumme Rede wieder in Umlauf, Ranald Guthrie habe den bösen Blick – was ja
nichts weiter als ein alberner Aberglaube der Katholiken und Hochländer ist.
Mistress McLaren, der, die später die Vision von dem Schwachkopf Tammas haben
sollte, kam das nur recht: jetzt mußte sich ganz Kinkeig wieder die
Räuberpistole von ihren Schweinen anhören.

IV.
    Schon früher gab es Guthries, die als Zauberer galten. Alexander
Guthrie, ein treuer Gefolgsmann Jakobs II., soll seinerzeit John Lord Ballwaine
verhext haben, den Schatzmeister der Douglas, so daß dieser gegen das Gebot
seines Herrn vor dem König erschien. Und ein anderer Alexander, der zur Strafe
dafür, daß er mit der Tochter eines gewissen Cochrine, eines Emporkömmlings am
Hof Jakobs III., angebandelt hatte, auf die Insel May verbannt wurde und dort
sehen mußte, wie er von Möweneiern satt wurde, raffte seinen Mantel und stürmte
zum Ufer, und mit einem einzigen großen Satz landete er auf dem Felsen von Bass
und mit einem weiteren im Land von Berwick, und noch ehe die Sonne
untergegangen war, war er wieder mit seiner Geliebten beisammen, in Sicherheit
in Frankreich. Mit einem so pittoresken Hokus-Pokus konnte Ranald Guthrie aus
Erchany nicht aufwarten, aber immerhin hatte er doch die Familientradition, und
er galt als gelehrt in fremden Künsten, denn er war einst bei Grabungen an den
alten Festungen der Römer dabeigewesen, jener Erz-Heiden, und einmal hatte er
erzählt, er zeichne Runen auf und studiere sie – und daß Runen etwas anderes
waren als das, was Hexen in ihren Kesseln brauten, das wußte außer dem Pfarrer
und mir wohl kaum einer in der Gemeinde Kinkeig. Und daß die Augen, mit denen
Ranald Guthrie einen ansah, etwas Besonderes waren, das steht fest; zwar waren
es nur die Augen, die alle Guthries hatten – die Männer sahen sich von einer
Generation zur nächsten so ähnlich wie die Habsburger oder die Stuarts in den
alten Bildern –, doch das war genug, daß einfältige Gemüter wie Mistress
McLaren vom tödlichen Fluch träumten und um ihre Schweine und Kühe bangten.
    Der Leser mag sich erinnern, daß McLaren der Dorfschmied war. Eine
Weile nach dem Besuch der Doktoren – und auch die Geschichte mit den Ärzten
hatte ja wieder zu allerhand dummem Gerede über die übernatürlichen Kräfte des
Gutsherrn geführt – war McLaren in einen recht heftigen Streit mit Guthrie
geraten, einen Streit, bei dem es um das Beschlagen der heruntergekommenen
Schindmähre ging, die sie auf Erchany für Christine Mathers im Stall hatten.
Wenn Guthrie überhaupt mit den Leuten von Kinkeig zu tun hatte – und das kam ja
nicht oft
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