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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter
Autoren: Michael Innes
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sie einmal gefragt hat:
»Und was soll das sein, visuelle Erziehung?«, und noch ehe sie antworten konnte,
meinte Will Saunders dazu: »Das ist das, was Susanna im Bade den Ältesten
geboten hat.« Natürlich der reine Unsinn, und die Lehrerin war schwer beleidigt – ein ungehobelter Klotz, der Will.
    Aber wenn ich weiter so schwadroniere, wird aus meinem Bericht nie
etwas werden.
    Ich sah ein, daß, wenn jemand in der Gemeinde diese Geschichte
aufschreiben sollte, ich es sein mußte, denn Dr.   Jervie, dessen Gelehrsamkeit
für Wichtigeres bestimmt ist, konnte man es nicht zumuten. Und ich bin ja auch,
um die Wahrheit zu sagen, nicht unbelesen, denn vor vierzig Jahren habe ich
mich von Sir John Lubbock durch die Hundert besten Bücher leiten lassen – und ich habe meine Zweifel, ob die jungen Dinger in den
Colleges das tun. Trotzdem antwortete ich Mr.   Wedderburn nun mit einem »Ne sutor ultra crepidam« , was schon die alten Römer einem
Menschen mit auf den Weg gaben, der sich besser mit eigenen Dingen beschäftigt
hätte: »Schuster, bleib’ bei deinen Leisten.« Und ich will auch nicht leugnen,
daß sich meine Laune bei dieser gelungenen Erwiderung noch um ein weiteres
gutes Stückchen hob. Und ich war heilfroh, daß diese schlimmen Tage hinter uns
lagen.
    Doch Mr.   Wedderburn nahm nur mit einem anerkennenden Nicken mein
lateinisches Sprichwort zur Kenntnis und fuhr fort. »Machen Sie nur den Anfang,
Mr.   Bell, und andere werden sich finden, die den Faden aufnehmen und ihren Teil
der Geschichte beitragen.«
    »Sie selbst ebenfalls, Mr.   Wedderburn?« Ich sagte das mit einigem
Nachdruck, denn ich glaubte, damit könne ich ihm den Unsinn seines ganzen
Vorhabens vor Augen führen.
    »Worauf Sie sich verlassen können«, erwiderte er – und bestellte uns
neuen Grog!
    Wiederum war ich verblüfft. »Nun«, sagte ich, noch immer zweifelnd,
»Sir Walter wäre ein Beispiel.«
    »Und ob er das wäre, Mr.   Bell! Und wir können unser Werk genauso
anonym herausgeben wie er. Sie wissen ja aus dem Lockhart, welch ein Geheimnis
der Große Zauberer war.«
    Es schmeichelte mir, daß er es selbstverständlich fand, daß ich
Lockharts Biographie von Sir Walter Scott gelesen hatte. Doch selbst da hätte
ich ihm wohl noch widerstanden, wäre nicht meine eigene Eitelkeit gewesen. Denn
ich wollte eben schlicht und einfach »Nein« sagen, da kam mir – beim Himmel! – ein weiteres lateinisches Wort in den Sinn. »Mr.   Wedderburn«, sprach ich,
»lassen Sie es uns ad avizandum nehmen« – wie seine
Freunde, die Edinburgher Richter, sagen, wenn sie zu etwas kein Urteil abgeben
wollen, ohne es noch einmal zu überschlafen. Daraufhin lachte er, und wir
ließen es bis zum nächsten Tag, wo er wieder in die Stadt zurückfahren wollte.
    Doch als wir dann am nächsten Morgen beieinander standen und auf den
Wagen warteten, der ihn durch den Schnee zum Bahnhof bringen mußte, erfuhr ich
Näheres darüber, was er im Sinn hatte. Er habe einen jungen Freund, erzählte er
mir, einen nutzlosen Tagedieb, der ein paar Geschichten verfaßt habe, eitle
Erzählungen über Leute, von denen er nicht das mindeste wußte, und voller
Dinge, die aller Natur widersprachen. Mr.   Wedderburn wollte seine Gedanken
zurück auf das lenken, was für seine Begriffe die wirkliche Welt war. Und
wirklich genug war der Fall Guthrie ja nun wahrhaftig gewesen, wenn er uns auch
noch so gespenstisch vorgekommen war, und es waren Leute darin verwickelt, von
denen auch jener Grünschnabel von Schriftsteller immerhin einen Begriff haben
mochte. Deshalb hatte Mr.   Wedderburn sich überlegt, daß man dem jungen Mann in
einer Reihe von Erzählungen alle Materialien an die Hand geben könne und dieser
dann nach seinem eigenen Gutdünken damit verfahren, sie entweder nur
herausgeben oder auch bearbeiten könne. Und selbstverständlich würden – das sei
unerläßlich – unsere Namen und dergleichen Dinge geändert, damit Kinkeig und
alle, die dort lebten, nicht noch übler beleumundet wurden, als sie nach der
ganzen Affäre schon waren.
    Nun, einen guten Zweck schien es ja immerhin zu verfolgen, und es
war eine Gelegenheit, noch ein wenig Gutes aus soviel Bösem zu machen. Kurz
gesagt: ich gab Mr.   Wedderburn mein Versprechen. Auf den folgenden Seiten werde
ich mit dem Bericht über die Ereignisse, die zum Tode Ranald Guthries führten,
den Anfang machen. Ich will – wie der Dichter Horaz es uns empfiehlt – in medias res springen und dann auf Früheres
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