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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter
Autoren: Michael Innes
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Gardinen sitzen würde; und als erst
einmal die wilden Gerüchte darüber die Runde machten, was mit der Leiche
geschehen war, als die Geschichte immer hanebüchener wurde und als jeder
Schwätzer und jedes Waschweib im Dorf erzählte, daß Neil Lindsay bald am Galgen
baumeln würde, da waren viele, die wissen wollten, daß auch dabei Hardcastle
seine Finger im Spiel gehabt habe. Der alte Speirs vom Zeitungsladen, den sie immer
den »wohlinformierten Mann« nannten, weil er ständig nachplapperte, was die
englischen Zeitungen schrieben, war überzeugt, daß Hardcastle zumindest ein
Anstifter gewesen sei und in Untersuchungshaft kommen werde, das sei gar keine
Frage. Seit er für Dr.   Jervies Rabauken auch Edgar Wallace führte, war der alte
Speirs Kriminologe und brachte Abend für Abend seine Ansichten in den Arms zu
Gehör, und es saßen immer ein paar Jünger mit offenen Mündern dabei und
lauschten seinen Abstrusitäten, als sei’s die Weisheit Salomos. Aber da komme
ich schon wieder von meiner Erzählung ab.

III.
    Es war ein strenger Winter. Am Morgen des Tages, an dem
wir der Toten des Weltkriegs gedachten, quollen die Wolken bleischwarz hinter
dem Ben Cailie auf, und der verschneite Gipfel erstrahlte davor noch in der
bleichen Morgensonne. Doch zusehends wurde der Himmel dunkler, und um elf Uhr,
als der Pfarrer seine Andacht am Kriegerdenkmal hielt, fielen die ersten
Schneeflocken: man sah gleich, daß sie liegenbleiben würden, so wie sie sich am
Talar festsetzten. Manche warteten, daß er den Gottesdienst abbrach, doch er
sprach unbeirrt weiter; einige spannten Regenschirme auf, andere zogen ihre
Schals höher – die meisten waren Witwen, mit ihren Gedanken zwanzig Jahre und
noch weiter fort – und sangen den 121. Psalm.
    Ich hebe meine Augen auf zu den
Bergen.
    Woher kommt mir Hilfe? …
    Es war fremd und doch schön, die Hügel im Schneegestöber
verschwunden, der Ben Cailie und die Bergwiesen nicht mehr zu erkennen, und die
Worte wie eine kuriose Parabel vom Glauben an das Unsichtbare. Immer dicker
wurden die Flocken, nun tanzten sie nicht mehr, sondern fielen gleichmäßig und
schluckten den Psalm von den Lippen der Gemeinde, so daß er halb verstummte und
es klang wie Gesang aus großer Ferne. Ein Freiluft-Gottesdienst in Schottland
geht einem meistens in die Glieder, und deshalb halten wir sie auch nicht oft;
zu Bürgerkriegszeiten haben wir mehr als genug davon gehabt.
    Wie gesagt, mit jenem 11. November begann ein bitterer Winter.
Denn der Schnee, der anfangs in so dicken Flocken fiel, daß alle prophezeiten,
bis zum nächsten Morgen werde er wieder verschwunden sein, lag vierzehn Tage
lang in der stillen, kalten Luft: man sah die Spitzen der Zweige beben unter
seinem Gewicht. Dann taute er von einem Tag auf den anderen, und es kam ein
großes Unwetter, ein Sturm, stark genug, daß zum zweiten Mal die Brücke über
den Tay davon einstürzen mochte, ein Sturm, der heulend das Tal heraufgefegt
kam und das Blei in großen Fetzen von den wahnwitzigen Zinnen von Castle
Erchany riß. Und kaum war das Unwetter vorüber, kam, als die Stoppelfelder noch
davon dampften, ein klirrender Frost.
    Mitte Dezember schneite es dann wieder, und die Kinder juchzten,
weil es weiße Weihnachten geben würde. Doch als der feine Schnee Tag für Tag
ohne Unterbrechung fiel, da füllte jeder, der klug war in Kinkeig, seine
Speisekammer, und wer oben in den Bergen wohnte, der sah zu, daß er noch
schnell eine Ladung Korn mahlen ließ. Der wohlinformierte Mann sagte voraus, es
werde ein Rekordwinter werden, und ganz ideal zum Eisstockschießen. Das war
natürlich ein schöner Trost für alle, die sich Sorgen machten, wie sie ihre
Kühe durch den Winter brächten. Das ist eben der Vorteil von Edgar Wallace und
Annie S. Swan: sie brauchen kein Futter, und man muß bei ihnen nicht ausmisten.
    Als es aufhörte zu schneien, sahen wir, daß schon der kleinste
nächste Schneefall oder die einsetzenden Schneeverwehungen uns von der
Außenwelt abschneiden würden, denn auch wenn in unserer Grafschaft an
Schneepflügen heutzutage kein Mangel mehr herrscht, würde es doch eine ganze
Weile dauern, bis sie sich zu einem so entlegenen Ort wie Kinkeig vorgearbeitet
hätten. So saßen wir denn da und vertrieben uns die Zeit, so gut es ging; die
alten Männer, die ein Stückchen Acker hatten, schärften ihre Pflugscharen für
das Frühjahr, und die Bauernburschen wärmten sich ihre dicken Bäuche an einem
lustigen Feuer und brüteten
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