Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter
Autoren: Michael Innes
Vom Netzwerk:
verfolgt
wurde von den Vogelscheuchen rundum; verfolgt, genauer gesagt, von dem
Gedanken, daß vielleicht jemand eine Münze in den Taschen der Jacken und Hosen
vergessen haben mochte, mit denen er sie ausstaffierte. Ein merkwürdiger
Anblick war es, wenn man den Gutsherrn sah, wie er auf seinem eigenen Besitz
von Vogelscheuche zu Vogelscheuche stapfte und in den Taschen dieser Gespenster
kramte, in der abwegigen Hoffnung, daß noch ein halber Penny darin steckte. Und
immer wieder drehte er seine Runden, durchsuchte dieselbe Vogelscheuche
manchmal dreimal am Tag – kein Wunder, daß die Leute sagten, er sei nicht mehr
bei Verstand. Doch der Quacksalber aus der Harley Street schrieb, es sei nur
eine Neurose, folie de doute , und keineswegs ein
Zeichen des Wahnsinns, genausowenig wie bei den Leuten, die mitten in der Nacht
aufstehen, um die Tür zu verschließen, obwohl feststeht, daß sie längst
verschlossen ist. Doch ohne Zweifel hatte er vom, wie man zu sagen pflegt, rein
medizinischen Standpunkt aus recht damit.
    Guthrie tat dies alles nicht nur auf seinem eigenen Land, sondern
auch auf dem seiner Pächter, und einige machten ihre Witze, daß man das Recht
des In-den-Taschen-Stöberns genau wie das Jagdrecht verpachten sollte. Das
Merkwürdige dabei war, daß Guthrie ebensoviel Achtung vor dem Eigentum der
anderen hatte wie vor dem eigenen und man ihm ansah, daß er wußte, daß es nicht
recht war, so in den Taschen seiner Pächter zu wühlen. Denn auf dem Bauernhof,
der zur Burg gehörte, tat er es mit einer Selbstverständlichkeit, als gehöre es
ebenso zu den Aufgaben des Hausherrn wie ein prüfender Blick auf die Gräben und Zäune.
Kam er jedoch ans Land der Pächter, so stand er manchmal zehn Minuten lang
versonnen auf einem Feldweg, sah sich mit seinen großen Augen nach hierhin und
dorthin um, den Augen, von denen die Leute erzählten, sie funkelten wie Gold;
und dann machte er einen Satz über den Graben, und lautlos und flink wie ein
Frettchen war er an der Vogelscheuche. Geradezu unheimlich war dieser Zwang,
etwas so Verrücktes zu tun; umso unverständlicher, wenn man bedachte, daß er ja
nicht der erste Guthrie war, der es zu etwas gebracht hatte: so sehr die
meisten ihn auch verachteten, war und blieb er doch ein Edelmann. Wenn die
Kinder ihn hänselten, die wenigen Male, die er nahe genug an eine Behausung
herankam, dann ließ er sich niemals anmerken, daß er sie überhaupt sah – und
niemals gab es eine Ohrfeige oder einen Fluch, wie es bei einfacheren Leuten
die Regel gewesen wäre –, sondern er schritt vorbei, und all seine finsteren
Blikke schienen einem ansonsten unsichtbaren Teufel zu gelten, der ein
Stückweit vor ihm über dem Wege schwebte. Umso mehr redeten die Leute dann, als
er die Gamleys auf die Straße setzte.
    Die Erbauer von Erchany hatten vor vielen Jahren diese Lage gewählt,
weil sich das Haus von dort gut verteidigen ließ, mit festem, felsigem Grund
ringsum, und der Bauernhof war nicht mehr als ein Flecken im Lärchenwald mit
ein paar Hafer- und Rübenfeldern. Rob Gamley war der Bauer auf diesem Hof, er
und seine beiden erwachsenen Söhne bestellten das Land und erhielten dafür
Unterkunft und einen Lohn. Gamleys zweite Frau war noch jung, und er hatte zwei
Kinder von ihr, die Wonnen seines Alters und sein ganzer Stolz. Sie waren ein
Zwillingspaar, ein hübscher Junge und ein hübsches Mädchen, vielleicht ein
wenig verwöhnt und gewiß recht ungezogen; und nichts weiter als ein frecher
Streich der beiden war es, der das Unglück heraufbeschwor. Denn eines Tages
gegen Ende Oktober spielten die beiden ein gutes Stück fort vom Haus, und da sahen
sie den Gutsherrn über das nächste Feld herankommen. Hie und da stocherte er
mit seinem Stock, und dagegen läßt sich nichts sagen. Aber die Kleinen wußten
ja genau, was er suchte, denn direkt vor ihnen stand eine schöne neue
Vogelscheuche, die ihr Vater erst am Vortag aufgestellt hatte. Und so schlüpfte
der kleine Geordie Gamley, ein gewitzter Bursche, das muß man sagen, durch die
Hecke, stellte sich hinter das Ding und steckte ihm die Hände in die Ärmel. Und
als der Gutsherr davor stand, kamen die Fäuste des kleinen Geordie
hervorgeschossen, als ob’s die Arme des Lumpenmanns seien, und er winkte damit
dem Gutsherrn zu und krakeelte den alten Vers:
    Ene-mene-mu,
    Und aus bist du.
    Alice, in der Hecke verborgen, prustete los, Geordie lief
grölend zu ihr zurück, und dann machten die beiden sich aus dem Staub,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher