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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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dem Boden. Der Teller hat überlebt.

25
    L enchen denkt immer noch über die Stuhlreihen nach. Der Antiquar rührt sich nicht, hockt unterm Dach. Soll sie später etwa mit Kalle, Buddy und dem Dachdecker auf dem Pflaster hocken? Viel zu privat. Die Sonne steht schräg auf den Stühlen, als die ersten Gäste kommen. Nikitas Mutter ist dabei, mit Mann am Arm. Einer aus dem »Fährmann«.
    Der Dachdecker guckt bißchen scheel, macht aber trotzdem ein Bier auf. Nikitas Mutter unterhält sich mit einer Blondgesträhnten über Hundefriseure. Weiber eben. Der Dachdecker reicht dem Begleiter ein Bier. Ist ja umsonst, hat Kwiatkowski bezahlt. Der steht neben einem von den Museumsfritzen und fachsimpelt. Irgendwas über den Mittler zum Totenreich – wieder dieser Hermes oder Merkur, wie heißt der mit den Flügelfüßen bloß. Egal, immer dieses Gequassel über Leichen. Es kommen noch andere. Die Studenten auch. Das Pflaster füllt sich. Mit sinkender Dämmerung steigt die Lautstärke. Leere Flaschen werden neben dem Bordstein abgestellt. Ein ganz Cleverer will sie beim Kiosk in Pfand umtauschen. Nicht mit Lenchen, sie hat dem Kwiatkowski die Kisten ohne Pfand überlassen. Lenchen schaut vom Fenster her zu. Sie will erst nach Ladenschluß rüber, keine Minute eher, da kann sie sich besser raushalten.
    Der Antiquar kommt nach unten. Abendwind streicht kühl in die Gasse, hebt sein wattiges Haar und legt den sturen Altmännerschädel frei.
    Die Leute drüben reden sich warm, ein Stimmentanz wirbelt und dreht sich, läuft die Fassaden hoch und wieder runter.
    »Hallo, Hans-Karl«, ruft Lenchen. »Unterwegs zum Fest?«
    Der Antiquar zuckt mit den Achseln. »Ich weiß nicht.« Suchend schaut er sich auf dem Bürgersteig gegenüber um.
    Lenchen hält ihn beim Kiosk. »Willste einen Kaffee?« Ist schon bißchen angebrannt, schmeckt man mit viel Milch aber nicht. Sie will nicht, daß er wieder nach oben verschwindet. Das muß ein Ende haben.
    »Wo ist Karla?« fragt der Antiquar.
    »Die ist in der Stadt, noch nicht wieder da.« Der Antiquar wendet sich zum Gehen.
    »Die kommt aber doch?« fragt er über die Schulter.
    Die kommt. Nach acht. Hat lange nach dem Geschenk suchen müssen, gibt es nicht oft. Sie geht auf der Seite vom Büdchen den Bürgersteig lang, grüßt an den Feiernden vorbei, lächelt nicht, als sie Jochen mit der Rothaarigen unter ihnen sieht, verschwindet im Haus.
    Kwiatkowski drückt seine Hände an die Bierflasche, das Glas ist kalt.
    Sehnsucht ist verdammt lästig. Heute nacht wird er sich nicht mehr einfach neben das Sofa setzen. Er wird ihr Lächeln küssen.
    Nikita winkt. Karla springt die Treppen hoch, gibt sich mit rasch versetzten Griffen am Geländer Schwung. Oben sitzt der Antiquar und raucht.
    »Du?« sagt er nur.
    »Warum bist du nicht bei den anderen?«
    Der Antiquar schüttelt den Kopf. »Mir ist nicht danach.«
    »Ich habe dir was mitgebracht. Darf ich mal?« Sie geht zu dem Plattenspieler. War schwer, die Aufnahme auf Schallplatte zu bekommen. Glenn Gould, Siegfried-Idyll, 1973. Ganz karges Klavier, die Töne blinken nur eben auf. Die traurigste Musik, die sie kennt. Der Antiquar lauscht eine Weile versonnen, dann steht er auf, tritt ans Fenster, schaut auf den Kattenbug hinab. Karla stellt die Musik lauter.
    Die Trinker heben die Köpfe. Was soll das?
    Der Antiquar geht zum Plattenspieler, hebt die Nadel. »Ich hab mir das viel zu oft angehört. Das ist nichts für hier«, sagt er. »Die Leute wollen feiern.«
    »Und du? Ich habe dich eingeladen. Komm.«
    Der Antiquar zieht das Banjo hinter dem Sofa hervor. Staub liegt auf dem Griffbrett.
    »Ich komme schon«, sagt er grimmig.
    Später, auf der Straße, singt er noch einmal das Lied vom Jakob. Der Dachdecker hat einen Stuhl freigemacht. Lenchen steht im Kiosk und trinkt den ersten Amselkeller, drüben gibt’s ja nur Bier. Und das ist nun auch schon fast alle.
    Am besten, sie bringt dem Antiquar gleich eine Flasche Whisky mit. Jetzt, wo er das Lied wieder singt. Ein bißchen weh tut’s schon, so ohne Jakobs Stimme.
    Vor allem die letzte Strophe.
    »We’re all young pretenders, looking for a sign on a troubled journey through the landscape of our mind we’re looking for a future, trying hard to find, a pathway and a promise, or a hope of better times.«
    Der letzte Ton verschwebt heiter.
    Dann fährt endlich der Streifenwagen vor. Irgendwann muß ja mal Schluß sein. Ist doch kein Karneval. Immer das gleiche mit dem Kiosk am Kattenbug. Das Pack
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