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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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kostet. Genutzt hat sie dem Metzger nichts, er war noch zu teuer für diesen Teil vom Kattenbug, obwohl der vor dem Krieg eine recht ansehnliche Einkaufsstraße war, so eben auf dem Weg nach oben, wohlanständig, vor allem die jüdischen Geschäfte für Weißwaren, Wirkwaren, Porzellan, Feinkost en gros und en detail.
    Hinter dem Pappschild im verschmierten Metzgerei-Schaufenster, hinter nachlässig aufgehängten Decken, hausen jetzt der Dachdecker und manchmal, wenn sie nichts Besseres vorhaben, auch Kalle und Buddy. Da stören sie keinen, und es ist besser als im Männerheim St. Agathe zwei Straßen weiter, wo sie nicht hingehören, denn der Dachdecker besorgt gelegentlich Baustellen-Jobs, die fürs Nötigste reichen, und im Kiosk gegenüber schreibt Jakobs Frau, das Lenchen, – »Lena für euch drei« – bis 200 Mark an – »danke, Sie sind nett, Frau Lena, schönen Tach auch«. Im ersten Stock des enthaupteten Metzgerhauses, wo die Wände schimmeln, wächst eine Birke durchs leere Fensterkreuz und freut den Dachdecker von Herzen. Im Mai hängt er bunte Bänder und seine Träume hinein. Das Haus will er kaufen und aufmauern bis in den verschwundenen vierten Stock oder einen nie vorhandenen fünften, je nachdem wieviel er getrunken hat. Und weil er in und von diesem Haus schon solange träumt, ist die zerklüftete Ruine sein Zuhause geworden.
    Manchmal, wenn er seinen Blaumann anhat und nüchtern und manierlich ist, greift er sich bei Lena einen schmalen weißen Block und skizziert sein Bauvorhaben. Und bauen kann er tatsächlich so allerlei. Er wird nur meistens nicht fertig mit dem, was er anfängt. Lenas Haus ist voll von seinen angefangenen Baustellen, weil der verstorbene Jakob nie nein sagen konnte, wenn der Dachdecker Pläne gemacht hat. Schöne Pläne. Da ragt ein Stück Wendeltreppe aus Betonguß aus dem Kellerboden und führt zu nichts, und im Dach hat er mal eine Wand durchbrochen für einen Wintergarten mit Domblick. Seither sitzt der Antiquar gleichzeitig im Wohnzimmer und im Treppenhaus, und die Walküren haben viel Auslauf. »Das wird schon«, hat der Jakob immer gemeint, aber Lenchen stolpert auf dem Weg zur Waschküche regelmäßig über die Treppe ins Nichts.
    »Schön, ja«, sagt sie inzwischen zu den Skizzen vom Dachdecker, auf keinen Fall »weiter so«, aber jedesmal »schön, ja«. Sie will keinem Menschen seine Träume miesmachen. Das wäre schlecht fürs Geschäft, und die Träumer würden zum neuen Drogeriemarkt abwandern, wo es das Bier in Büchsen für neunundsiebzig Pfennige gibt.
    Pläne haben viele hier auf dem Kattenbug und erzählen viel davon, wenn sie vor dem Kiosk stehen und sich gewichtig über die Theke mit den Zeitungsstapeln beugen. »Wissen Sie eigentlich, was ich machen würde, wenn ich könnte?« Sie pflegen ihr Leben im Konjunktiv mit der unerschütterlichen Selbstzufriedenheit werdender Mütter. Die Theke hat Lenchen gern zwischen sich und den schwankenden Gestalten und deren Plänen. Zu nah darf man so was nicht an sich ranlassen. Sie verkauft nur durchs Schiebefenster. Die Tür bleibt zu. Sie hat genug mit dem Laden zu tun, vor allem seit der Jakob tot ist, der im übrigen der ärgste Plänemacher von allen war. Nebenan und schräg gegenüber wohnen alte Leute in rissigen Häusern mit grauem Putz, vergessen wie die Gasse. Und Kurden, die Röcke kürzen und vom eigenen Pizza-Taxi träumen, und junge Eierdiebe, die für eine Nase Koks oder den nächsten Schuß einer Oma die Handtasche klauen, und seit anderthalb Jahren der Kioskgehilfe und Künstler Kwiatkowski, der fleißig Schädelplastiken verfertigt, weil er mal Totengräber war und Beuysschüler an der Akademie in Düsseldorf. Aber das ist noch so eine Geschichte, von der hier niemand was wissen will.
    Dann gibt es noch verschiedene Sozialfälle, so farblos wie das Kopfsteinpflaster, denen gehören die Hunde, die nachts die Gasse verschmutzen, und dazu noch ein Satz Studenten, die das alles für das wirklich wahre Leben halten oder für eine soziale Idylle, was noch vermessener ist, als es die Pläne des Dachdeckers sind.
    Zusammen führt sie manchmal Lenchens Kiosk und die Tatsache, daß die meisten von ihnen freiwillig oder unfreiwillig Herr über ihre Zeit sind. Da stehen sie in wechselnder Besetzung von früh um acht bis abends zehn auf dem Buckelpflaster bei Kaffee in knisternden Plastikbechern, erklären sich die Welt und halten sich für den Mittelpunkt. Wer sich zu benehmen weiß, wie Kalle, Buddy und der
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