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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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sich die Drachen verstecken. Goldene Buchstaben und blaue Drachen mit Flügeln. »Das, Buddy, ist mein wertvollstes Stück«, hat der Antiquar ihm anvertraut, und es eines Tages einfach verkauft. Mit dem ganzen Laden, wo es doch hingehört hat. Buddy brummt unwillig und geht.
    »Dem alten Querkopf da oben fehlt der Jakob«, sagt das Lenchen mit einem Blick zum Dachgiebel, während sie die Papierkörbe mit der Eisreklame von den Mauerhaken nimmt. Kwiatkowski nickt langsam und wuchtet knirschend den Zeitungsständer über die Türschwelle in den Kiosk. Er packt das rauhgewebte Rollband des Gitters, hakt es los und läßt es genußvoll durch seine Handflächen gleiten. Das Gitter seufzt in den Angeln.
    Früher, wenn der Antiquar das Rasseln des Rollgitters gehört hat, ist er oft heruntergekommen. Abends um zehn.
    Zwei-, dreimal die Woche, um Bier zu trinken. Im Hof hinter dem Kiosk, wo Knöterich die roten Ziegelwände herabwuchert und Jakob mit dem Dachdecker seine Küche gebaut hat. Eine ziemlich monströse Küche mit gemauerter Front und offenem Kamin in einem viel zu kleinen Anbau. Der Dachdecker hatte dabei mal wieder seine Phantasie nicht im Griff gehabt.
    Früher haben Jakob und der Antiquar in der Küche Musik gemacht. Der Jakob mit einer Mundharmonika und der Antiquar mit einem Banjo. Folk war die Droge. So bis in die frühen Achtziger, als Lenchen noch Wallegewänder trug und barfuß gelaufen ist. Nach einer Weile ist es immer das gleiche Lied gewesen.
    »Wie zwei Verliebte«, hat sich das Lenchen halb gewundert, halb gefreut. Die beiden sangen irgendwas Schottisches über junge Helden, die in den Krieg ziehen wollen gegen Frankreich und auf sommergrünen Wiesen auf Segelschiffe warten, die sie holen sollen, und dann sterben sie den frühen Tod auf dem Schlachtfeld, und der Refrain sind zerrissene Därme, zerfetzte Schultern und die Flasche als einziger Freund. Den beiden Musikanten gefiel das. Haben sich dabei wohl für echte Kerle gehalten, denkt Lenchen und irrt sich.
    Sie hat sich in ihrem Leben öfter in Männern und deren Träumen geirrt und ist ihnen treu geblieben. Sie ist der Typ Siedlerfrau, die klaglos im Präriewagen gen Westen zieht und nebenher Kinder gebärt und Indianer massakriert. Ihr Erster, da war sie dreiundzwanzig, hat alte VW-Busse nach Nepal chauffiert, durchs wilde Kurdistan, durch Afghanistan, jedenfalls immer durch die Wallachei. Und Lenchen neben ihm. Freiheit nannte er das.
    Die Busse hat er dann in Nepal verkauft, und davon konnten sie drei Monate »da unten leben« – wie Lenchen sagt – bei Dope, Reisgerichten und Tee mit ranziger Yakbutter. Hat ihr nicht besonders geschmeckt, drum nahm sie später immer Knäckebrot und Margarine mit. Botteram mochte sie am liebsten.
    Mit Dope für den Kleinhandel daheim ging es dann irgendwann in einem Flieger zurück, der Dopeerlös finanzierte den nächsten Bus, und ab ging es wieder in die Freiheit, die die Nepalesen ein Heidengeld gekostet hat. VW-Busse waren ein Riesengeschäft, da unten damals. Einmal haben sie einen Bus nicht verkauft bekommen, da mußten sie retour, samt Bus. Statt Dope hat ihr Erster ein Schneetigerjunges aus dem Himalaja mitgenommen, das er einem zwielichtigen Jäger mit platter Nase und verkniffenen Augen abgehandelt hat. Lenas Erster behauptete, das Viech sei mindestens zehntausend Mark wert, weil die Schneetiger vom Aussterben bedroht sind. Das Tigerbaby ist der Lena kurz vor dem Hindukusch auf dem Schoß weggestorben an einem gräßlichen Durchfall. Es hat so erbärmlich gestunken, daß ihr Erster es kurzerhand aus dem Fenster geworfen hat. Seither hat Lenchen es nicht mehr mit dem Träumen, aber spendet einmal im Jahr hundert Mark für den Worldwildlife Fund, Verwendungszweck »Schneetiger«.
    Anderen macht sie die Träume nicht kaputt. Schon gar nicht Männern. Auch dem Jakob nicht, dessen Abenteuer Gott sei Dank mehr im Kopf stattfanden und hinten im Hof und in der vollgestopften Küche und in schottischen Folksongs.
    Irgendwann war das mit der Singerei dann vorbei. Jakob und der Antiquar haben nur noch Bier getrunken. Geredet hat immer der Jakob. War ein heilloser Lügner, würde der Antiquar sagen. Einer, der sein Leben lang nach Pointen rang, als hätte das Leben eine andere als den Tod. Aber das hat der Jakob nie einsehen wollen und Geschichten erlogen und immer die Wirklichkeit ausgebessert.
    »Wat willste?« hat Jakob manchmal gefragt. »Siehste nicht, wie die Leute das freut?«
    Lauter sinnlose
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