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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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Hier erregen die Walkürenritte des Antiquars äußerstes Mißfallen, obwohl man sie im Rauschen des Verkehrs nicht hören kann, sondern nur auf dem Weg zu dem neuen Drogeriemarkt, der am anderen Ende vom Kattenbug entstanden ist, da, wo die Gasse sichelförmig auf eine fünfstrahlige Kreuzung trifft, die sich wie vorm Krieg noch Platz nennt und trostlos ist wie Bukarest.
    Auf dem Weg dahin also umdonnern einen in Höhe des Kiosk die Walküren, überfallen einen hinterrücks, immer voran die machtvollen Bläser und drängend die Streicher hinterher. Wenn es unerwartet los geht, macht man einen Satz. Direkt vor Lenchens Bude, und die Mäusemilchtrinker gröhlen.
    Nachtjackenviertel. Alles Pack.
    Was Unsinn ist. Der Antiquar allerdings ist ein ausgemachter Sonderling. Er heißt so, weil er da, wo jetzt der neue Drogeriemarkt ist, einen Buchladen gehabt hat. In einem Flachdachbau, hastig hochgemauert in den Fünfzigern, der zur Hälfte das tiefe Grundstück einer ehemaligen Brauerei ausfüllt. Die andere Hälfte vom Grundstück ist neuerdings mit würfelförmigen City-Apartments für Bestverdiener bebaut: »Höchster Wohnkomfort, zehn Gehminuten zur Innenstadt, Blick auf die Domspitzen, Tiefgarage, ruhig einschlafen, entspannt aufwachen«. Nur ganz verzweifelte oder ganz gleichgültige Seelen fallen darauf herein. Leichenhalle nennt der Künstler Kwiatkowski den Bau, weil man die wenigen Bewohner nie zu Gesicht bekommt.
    Der junge Krahwinkel hat das Haus hochziehen lassen. Ein dynamischer Versager mit zwei Handys in der Tasche und Vaters Geld auf dem Konto. Dem alten Krahwinkel gehören auf dem Kattenbug das leere Grundstück neben dem Kiosk und acht oder neun Häuser, so genau weiß das keiner, nicht mal Rose Quittländer. Sie erinnert sich nur, daß die weggebombte Nummer achtzehn, neben dem Kiosk, dem Krahwinkel gehört, wo vor dem Krieg der »olle Jüdd« Korinthenberg seinen Glas- und Kerzenladen hatte.
    Jetzt will der Junior die ganze Gasse umkrempeln. »Letzte innerstädtische Baulücken schließen«, von denen er glaubt, daß der alte Herr, der auf die Neunzig geht, sie übersehen hat. Obwohl der Junior an seinem Apartmentblock noch keinen Pfennig verdient hat, macht er weiter und sich lächerlich, wenn er in Bauhelm und Burberry-Trench über den Kattenbug hastet und wie belästigt zu Lena herübergrüßt: »Keine Zeit, keine Zeit«. Als ob ihn danach einer fragt.
    Der verstorbene Jakob kannte den Junior noch als dickes Kind und vorlauten Fetz mit zuviel Taschengeld, für das er Unmengen von Mäusespeck und Brausestäbchen und Leckmuscheln gekauft hat, um Eindruck zu schinden. Scheint, daß das dicke Kind sich jetzt die ganze Gasse einverleiben und daran den Magen verderben will.
    Immerhin ist der flammneue Drogeriemarkt, der den Laden vom Antiquar abgelöst hat, jetzt mit Granitplatten verblendet, auf dem Dach leuchten orangefarbene Buchstaben, umtanzt von grellen Luftballontrauben. Vor der Glasfront blinken Gitterkörbe mit Spülmittelflaschen zum Eröffnungspreis und verbilligtem Katzenfutter. Ganz so, wie man es aus Fußgängerzonen mit rotgrauem Mosaikpflaster, Tchibofilialen, H&M-Shops und bepflanzten Betonkübeln kennt. Nachts sieht der Drogeriemarkt tot und trostlos aus, und die Luftballons wirken wie verirrte Gespenster. Nur Jakobs Kiosk leuchtet bis abends um zehn.

1
    M it dem Kiosk ist demnächst Schluß, wenn es nach Krahwinkel und seinen Bauplänen geht. Jetzt, wo der Jakob tot ist, der sentimentale Hund, wird sich da wohl was machen lassen. So viel weiß der Krahwinkel, daß die Lena dem Geschäft nicht gewachsen ist.
    Er weiß nichts von Karla, die in einem seiner Apartments neben dem Drogeriemarkt wohnt. Keiner am Kattenbug kennt die junge Frau, aber sie kennt den Kiosk und überlegt, ob sie nicht endlich einmal hinübergehen soll. Unschlüssig steht sie am Fenster, schaut durch die Schlitze einer Jalousie in die Frühjahrsdämmerung hinaus. Die Leuchtreklame über der Bude verströmt milchiges Licht. Sie erinnert sich an hellrote Erdbeeren aus Schaumzucker, die den Gaumen rauh schmirgeln, und an Zeitungspapier mit gelbem Tabakgeruch.
    Unsinn, denkt sie, ich gehöre da nicht hin. Immer noch lauter Schwätzer da, verhungerte Seelen, die ihr Leben verpaßt haben oder verplempert für kleinlaute Illusionen. Das letzte, was sie braucht. Keiner belügt mich besser als ich selbst, verhöhnt sie sich stumm. Sie zieht die Jalousie hoch und macht das Fenster einen Spalt auf. Wagners Walküren nähern
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