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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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Mauer verstummte, und alles war gut. So wie den Antiquar stellt Nikita sich Gott vor, ein unversöhnter alter Zauberer, der das Böse in Schach hält, weil er noch viel böser sein kann und viel mächtiger, wenn er will und man ihn gnädig stimmt. Das Rollgitter trifft mit schnappendem Geräusch auf die Eisenschiene am Boden.
    »Wird immer kauziger«, sagt Kwiatkowski im Kiosk zu Lenchen und meint den Antiquar. Lenchen hört nicht hin. Sie sitzt auf einem umgedrehten roten Bierkasten, zählt leise flüsternd das Geld und kraust die Stirn. »Das geht nicht mehr lang«, sagt sie.
    »Ach was, so schlimm ist das doch nicht«, meint Kwiatkowski.
    »Nicht schlimm? Es läuft beschissen.«
    »Was meinen Sie?«
    »Den Laden. Die Umsätze gehen immer weiter runter. 758 Mark an einem Sonntagabend mit Fußball-Länderspiel. Da trinkt man doch Bier, und ich habe zwölf Sorten kalt. Was haben wir früher an den kalten Getränken verdient.« Sie stellt den roten Kasseneinsatz mit dem Silbergeld auf die Eistruhe. Die Münzen klirren kurz und sacht.
    »Glauben Sie, es liegt am Walkürenritt?«
    Lenchen zuckt die Achseln. »Vielleicht am Drogeriemarkt. Die verkaufen Jacobi 1880 zu 7,98, und Bier und Sekt haben sie auch, hat der Dachdecker erzählt.« Der treulose Verräter der, denkt sie. Bei mir schreibt er an bis zum Letzten, und da nimmt er die Sonderangebote mit, und das nach allem, was der Jakob für ihn getan hat.
    »Aber die haben kein Lenchen im Drogeriemarkt.« Kwiatkowski glaubt, daß so oder ähnlich Sätze klingen müssen, die ein Lenchen trösten. Lena steckt sich eine Zigarette an, zieht heftig und legt sie gleich wieder über die Kante vom Aschenbecher. Gewohnheitssache. Beim Bedienen hat sie nie die Hände zum Rauchen frei, da verqualmen ihre hektisch angezündeten Zigaretten nach wenigen Zügen im Aschenbecher, oft mehrere gleichzeitig, und überziehen die Negerküsse mit einem blaugrauen Schleier, der sie zäh macht und nach kaltem Rauch schmecken läßt.
    Lenchen schaut Kwiatkowski fest an. »Die kommen nicht wegen mir, außer vielleicht der Dachdecker und sein Anhang, weil er anschreiben kann. Den anderen fehlt der Jakob.« Sie schweigt. Ihr fehlt er auch.
    Kwiatkowski greift sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Auch eins? Die Laternen sind ja jetzt an.« Das ist so ein alter Scherz von Jakob. Lenchen trinkt frühestens nach Einbruch der Dunkelheit, meistens erst wenn der Laden zu ist. Erst ein Bier, dann eine Flasche Amselkeller, der mal Amselfelder hieß und aus Jugoslawien stammte. Ohne Stiele und Stengel gekeltert.
    »Kann eins brauchen. Aber nehmen Sie eins von hinten, die sind kalt.« Sie trinkt und denkt nach. »Kwiatkowski, ich schaff das auf Dauer nicht alleine.«
    »Ich bleib Ihnen noch eine Weile erhalten, so zweimal die Woche mach ich ’nen Tag.« Ihm wird mulmig, während er das sagt, zwar macht er das schon so, seit Jakob tot ist, aber wenn er was verspricht, wird’s offiziell. Sofort abhauen möchte er dann, auf Nimmerwiedersehen. Aus der Ferne sind ihm Freundschaften am liebsten. »Kwiatkowski, du bist ein Windhund«, hat der Beuys einmal zu ihm gesagt und einen Windhund auf eine Serviette gemalt. Die Serviette hat er noch immer.
    Lenchen kann mit Kwiatkowskis Versprechen nicht viel anfangen. »Zweimal die Woche reicht nicht. Der Einkauf, fünf Tage Schicht, die Buchhaltung, die Remittenden, die Bestellungen – das ist zuviel. Außerdem gehört mir der Laden nicht mal. Jakob war ja immer noch mit seiner Ersten verheiratet, hatten auch das Kind.«
    Kwiatkowski schüttelt langsam den Kopf. »Unsinn, die haben das Erbe ausgeschlagen, das Kabuff gehört Ihnen.«
    Lenchen zieht die Stirn in Falten. »Und die Schulden.« Das »Kabuff« nimmt sie übel. Außerdem: Blut ist dicker als Wasser, denkt sie, sagt sie aber nicht, denn Kwiatkowski haßt solche Sätze, so viel weiß sie. Solche Sätze sind der Grund, weshalb er Lenchen immer noch siezt. »Jakob hat es anders gewollt«, schützt Lenchen vor.
    »Er konnte doch nicht wissen, wie schnell das gehen würde. Mit«, er scheut das Wort Krebs, »mit der Krankheit, sonst hätte er den Laden und das Haus Ihnen vermacht. Bestimmt hat er nicht gewollt, daß Sie sich Sorgen machen. Er hatte ja noch so viele Pläne.«
    Ja, Pläne hatte er noch gehabt, der Jakob, aber damit kann ein Lenchen nichts anfangen, und Schulden machen ihr Angst, und Angst macht sie kleinmütig und gegen ihre Natur geizig. Ihr kann nur noch ein Wunder helfen, aber an Wunder glaubt sie
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