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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille
Autoren: Simon Borner
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» Bücher sind tödlich. Sie sind der Fluch der menschlichen Rasse. Neun Zehntel aller existierenden Bücher bestehen aus Nonsens, und die cleveren sind auch nur eine Replik auf jenen Unsinn. Das größte Unglück, welches dem Menschen je zuteil wurde, war die Erfindung des Buchdrucks. «
    Benjamin Disraeli, britischer Premierminister, 1870
    ***
    Mainz, 1455
    Die Stricke waren grob; sie stanken nach Stall und schnitten ihr bei jeder kleinen Bewegung schmerzhaft ins Fleisch, doch sie erfüllten ihren Zweck: Sie hielten Nicole Duval dort, wo ihre Entführer sie haben wollten - auf dem hölzernen Stuhl im Keller des Mainzer Domes. Seit Minuten schon wand sie sich vergeblich in ihren Fesseln. Verzweifelt versuchte sie frei zu kommen und aus diesem rätselhaften unterirdischen Versteck zu entfliehen. Sie musste doch ans Tageslicht, musste Zamorra finden und endlich tun, wozu sie die lange Reise durch die Zeit und von Frankreich hierher an den Rhein überhaupt erst auf sich genommen hatten. Doch dies, das machte ihr die Situation mehr als deutlich, schien momentan keine Option zu sein. Vielleicht war tatsächlich schon alles vorbei.
    Mit fieberhaftem Blick sah sich Nici in der großen Kammer um, in die man sie verschleppt hatte. Es war ein beeindruckend zweckmäßiger Raum. Die Wände waren mit Zeichnungen, Holzschnitten und Handschriften behangen, deren Inhalte sie in dem dämmrigen Zwielicht, das dort unten herrschte, kaum erahnen konnte. Und in einer Ecke des Raumes standen sie - die fünf in schlichte Mönchskutten gekleideten Burschen, welche sie und Zamorra überfallen hatten. Zweimal schon hatte Nicole versucht, ein Gespräch mit ihren Wärtern zu beginnen, und zweimal war sie gescheitert. Nicht, weil die Männer nicht reden wollten, das spürte sie instinktiv. Sondern weil sie auf jemanden - oder etwas? - zu warten schienen. Nur auf wen?
    »Sobald Martinus da ist, werden wir ja sehen, was wir mit ihr anstellen«, hörte sie einen der Männer zischen, einen groß gewachsenen Bärtigen mit Tonsur auf dem Haupt. »Bis auf Weiteres sollten wir einfach warten.«
    »Ach, warten«, fuhr sein Nebenmann auf. »Wir warten schon, seit dieser seltsame Kerl hier aufgetaucht ist. Wer sagt uns denn, dass wir überhaupt das Richtige tun? Wer sagt uns, dass dies dem Willen des Herrn entspricht? Nur weil ein dahergelaufener…«
    Plötzlich wurden Schritte in dem schmalen Gang laut, der vom Untergeschoss des Domes in diese geheime Kammer führte. » Ich sage das«, erklang eine Stimme aus der Dunkelheit, und dann trat ein Mann ins Licht der Fackeln, welche den Raum erhellten. »Und ich bin, wenn mich nicht alles täuscht, der Anführer dieser Gruppe. Korrekt?«
    Martinus, denn um niemand anderen konnte es sich handeln, entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das sich Nicole im Geiste von dem erwarteten kriminell-kultistischen Mastermind gemacht hatte. Was sie sah, war ein schlicht wirkender, schmächtiger Mann mit sanfter Stimme und sanften Zügen. Und er schien seit Tagen nicht geschlafen zu haben. Sein dunkelblondes Haar war zerzaust und fiel ihm in die Stirn, unter seinen braunen Augen lagen dunkle Ringe und seine Wangen wirkten seltsam eingefallen und blass. Er sah krank aus, fand Nicole, krank und auf eine Weise erschöpft, die weit über das Körperliche hinausging.
    Die Worte des Mannes hatten den gewünschten Effekt. Kaum war er erschienen, kehrte auch schon Ruhe in den Kreis der Wartenden ein. Mit einem leisen Seufzer trat Martinus in die Kammer und auf die gefesselte Nicole zu, die ihn trotzig anblickte.
    »Fürchtet Euch nicht«, sagte er, als er den unausgesprochenen Vorwurf in ihren Augen bemerkte. »Es… Ihr glaubt gar nicht, wie sehr es mir leid tut, was wir Euch antun mussten. Doch uns blieb keine Wahl.« Dann erst sah er die Stricke, welche sie auf den Stuhl zwangen. Sofort drehte er sich zu seinen Untergebenen um. »Was soll das?«, fuhr er sie an. »Von Misshandlungen war nie die Rede. Wir hatten einzig den Auftrag, die Beiden am Betreten der Werkstatt zu hindern.«
    Einer der Kuttenträger hob abwehrend die Arme. »Es war die einzige Möglichkeit, das Weib dazu zu bekommen, still zu sitzen.«
    Abermals seufzte Martinus. »Das ist… inakzeptabel, Bruder Clemens. Unsere Rolle in dieser Mission ist klar umrissen und unveränderlich.« Mit schnellen Schritten trat er zu Nicole, zückte ein kleines Messer aus den Untiefen seiner Robe und machte sich daran, ihre Fesseln zu durchtrennen. »Abermals kann ich nur um
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