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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille
Autoren: Simon Borner
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führte, stand Bruder Clemens.
    Genau an der Stelle, an der sich die Energiekuppel gebildet hatte!
    Clemens war gefangen. Die Wand aus gleißendem Licht ging mitten durch seinen zuckenden, sich windenden Körper. Wie schmerzhaft diese Berührung sein musste, konnte Martinus an seinem Gesicht ablesen, das zu einer Fratze der Agonie verkommen war. Dazu brauchte er die Schreie nicht, welche durch die Stille hallten - unkontrollierte, nahezu animalische Laute voller Verzweiflung und Schrecken.
    Herr! Martinus konnte seinen Blick nicht abwenden, trotz des grausamen Spiels. Herr, lass ihn. Ich flehe dich an.
    Plötzlich ging ein Zittern durch Clemens' geschundenen Leib - und Martinus hörte auf zu atmen. Sanft glitzernder Sternenstaub löste sich von der Energiekuppel, rieselte vom Kopf ausgehend an Clemens hinunter. Und wo er seinen Körper passierte, machte dieser eine grauenvolle Metamorphose durch. Clemens alterte!
    Es war, als laufe die Zeit mit einem Mal schneller ab. Vor den Augen seiner entsetzten Brüder wurde Clemens' Haar länger und länger, verlor die Farbe und ging schließlich ganz aus. Seine Haut, die doch so rosig und gesund ausgesehen hatte, durchzogen auf einmal tiefe, stetig wachsende Falten. Die Augen wurden trüb und grau, als läge ein Schleier über ihnen; die Hände krümmten sich, wie unter dem Einfluss der Gicht - binnen weniger Sekunden wurde aus dem Endvierziger, der da inmitten des Energiefeldes um sein Leben zappelte, ein Endachtziger.
    Dann kam Nebel auf. Aus dem Nichts entstanden dichte graue Schwaden und hüllten den so unfassbar leidenden Klosterbruder ein, verdeckten ihn vor den Blicken der anderen. Ein lautes Zischen ertönte - und als der Dunst danach verschwand, fehlte von Bruder Clemens jede Spur. Er war fort, als hätte es ihn nie gegeben.
    Alles, was von ihm geblieben war, war das Entsetzen auf den Gesichtern derer, die seinem Ende hatten beiwohnen müssen.
    ***
    Der Schreck mochte den Mönchen in den Gliedern sitzen, aber ihr Schweigen währte nur wenige Sekunden. Die letzten der mysteriösen Nebelschwaden hatten sich kaum aufgelöst, da kam wieder Leben in die schockierte Gruppe. Nicole sah, wie zwei der fünf verbliebenen Männer instinktiv einige Schritte zurückwichen. Ein Dritter hob die Arme, als könne er das Geschehene mit den Händen von sich wegdrücken. Ihr Blick suchte Martinus. Wie mochte der Leiter dieses Haufens aus Wahnsinnigen auf das grauenvolle Schauspiel reagiert haben? Hatte es gereicht, um ihn davon zu überzeugen, dass seine dubios scheinenden Absichten alles andere als gut durchdacht waren?
    Im Gegenteil… Nicole stöhnte leise und spürte ein Stechen in ihrem Kopf, als ihre Augen Martinus' Gesicht fanden und den Ausdruck sahen, der auf seinen Zügen lag. Ein Ausdruck tiefster, aufrichtigster Überzeugung.
    »Seht Ihr, was geschieht?« Die Stimme des Mönches zitterte. »Seht Ihr, was jenen widerfährt, die sich der Aufgabe zu entziehen versuchen, die uns übertragen wurde?« Mit jedem Wort wurde Martinus lauter. Er drehte den Kopf und blickte seine verbliebene Gemeinschaft der Zitternden an, die ihm, zutiefst erschüttert, Gehör schenkte. Nicole kam es vor, als wären diese Männer im Moment so hilf- und ratlos, dass sie für jede Orientierung dankbar waren, die sich ihnen bot.
    »Bruder Clemens wollte sich von uns und seiner Berufung abwenden«, fuhr Martinus fort. »Weil er nicht glaubte. So, wie einst Thomas nicht glaubte. Und der Herr strafte Clemens, um uns allen ein Zeichen zu geben.«
    Abermals murmelten die Mönche. »Ein Zeichen«, wiederholte einer, und es klang fast wie das sinnfreie Nachgeplapper eines Papageis.
    Nicole wandte sich frustriert ab. Was soeben geschehen war, daran hatte sie keinen Zweifel, hatte nichts mit göttlicher Einflussnahme zu tun - egal, wie lautstark Bruder Martinus dies auch verkünden mochte. Vermutlich sagt er das, um sich selbst davon zu überzeugen , dachte sie verbittert. Wer weiß: Wenn man sich etwas nur lange genug einredet, glaubt man es am Ende vielleicht sogar.
    Das war lächerlich, fand sie, die ganze Situation. Ein Mann war gestorben, weil er eine magische Schutzwand berührt hatte, und seine Hinterbliebenen interpretierten dieses tragische Unglück als ein Zeichen Gottes und verschanzten sich nahezu panisch in ihrem Versteck, während da draußen doch… Abermals musste sie an Zamorra denken, von dem sie so abrupt und gewaltsam getrennt worden war. Zamorra, der die Zeitringe bei sich trug und gekommen
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