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Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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will eben das Schild am Glas befestigen, als sein Blick durch die Scheibe nach unten gelenkt wird.
    Besser der als keiner, denkt Nikita, obwohl sie dem Kwiatkowski nicht traut, wegen der Totenköpfe, die im Fenster seiner Wohnung schräg gegenüber ausgestellt sind und mit leeren Augenhöhlen in die Gasse starren. So was muß doch die Teufel anlocken und den Schlimmsten von allen, den Eckenflüsterer.
    Kwiatkowski öffnet die Tür und fragt: »Wie üblich?«
    »Vier Reiss, einen Gorbatschow kalt, eine West Big«, trägt Nikita mechanisch vor. Kwiatkowski greift sich eine Plastiktüte, schlägt sie mit lautem Knall in der Luft auf, öffnet den Kühlschrank und füllt Reissdorfkölsch und eine 0,7-Flasche Wodka hinein, dann greift er ins Zigarettenregal und legt ein Päckchen 25er dazu. Nikita steht mit dem unergründlichen Ernst eines mißtrauischen Kindes auf ihren dünnen Beinen und streckt die Hände nach der Tüte erst aus, als Kwiatkowski sie ihr reicht. »Magste nen Lutscher?« Kopfschütteln, so was steht nicht auf dem Programm, dafür die abschließende Formel: »Mutti zahlt morgen.«
    »Klar, kein Thema.«
    Geld gibt die Mutter ihr nie mit. Sie hat Angst, daß man Nikita wegen des Geldes überfallen könnte. Logik ist nicht die Stärke von Nikitas Mutter. Sie gehört zur Gattung der überspannten Schwarmgeister. Deshalb heißt Nikita auch Nikita, nach dem Song von Elton John, bei dem sie den Vater des Mädchens kennengelernt hat. Sie hat die Schnulze sogar auf dessen Beerdigung spielen lassen, da war sie im siebten Monat schwanger und schon nicht mehr ganz bei Trost. Mit »Gott ist mein Zeuge« hat sie am Grab von Pjotr der russischen Drogenmafia Rache geschworen, dabei hatte die mit Pjotrs Tod gar nichts zu tun, aber noch Geld von ihm zu bekommen. Nikitas Mutter hat danach eine Weile Polizeischutz gehabt und fühlte sich wie die Hauptperson eines großen Schicksals, das ihr die Tarotkarten ankündigen. Auf ihre Art ist sie eine hübsche Frau, die ihre Lippen zu laut schminkt, die Haare zu blond und die Fingernägel zu lang trägt. Zur Schönheit fehlt ihr die Klasse oder die Unschuld. Ordinäres Weibsstück, meinen die einen, dumm wie Brot, die anderen. »Ein bißchen naturtrüb is sie schon«, hat der Jakob gesagt, »aber immerhin nicht so dumm, sich für klug zu halten. Das sind die Schlimmsten.« Das Mädchen, das sie dann zur Welt gebracht hat, konnte sich nicht retten vor ihrer verwirrenden Gefühlsvielfalt, ihren Küssen, den pinkfarbenen Söckchen, den Barbiepuppen, den Teddybär-Schnullern, den Disneyvideos und den Nervenzusammenbrüchen.
    Nikita hat es, seit sie denken kann – und das hat sie früh gelernt –, nie leicht mit ihrer Mutter und deren Hang zum Überschwang gehabt. Die Mutter ist eine vertraute Fremde. Nikita ist die Welt der Zahlen lieber. Drei mal drei macht neun. Mathematik. Im Rechnen hat sie eine Eins. Sie hätte auch lieber einen Zirkel als noch eine Barbiepuppe, aber davon versteht Mutti nichts.
    »Hat wohl wieder Besuch, deine Mama?«
    Nikita guckt ihn unter einer schwarzen Haarsträhne lauernd an, dann dreht sie sich um und geht. Sie hat Schlagseite da, wo sie die Tüte trägt. Das Klimpern der Flaschen fängt sich im Straßenschacht und hallt lange nach.
    »Ich schau dir hinterher, bis du durch die Haustür bist«, ruft Kwiatkowski. Über ihm nehmen die Walküren ihren Ritt noch einmal auf.
    »Das ist aber sehr nett von Ihnen«, sagt leise eine Stimme in seinem Rücken. Der Tonfall ist kalt und rachsüchtig. »Erst einem kleinen Mädchen Bier und Schnaps verkaufen und es dann alleine in die Nacht schicken. Echt großzügig, Sie Arschloch.«
    Mehr erstaunt als beleidigt dreht Kwiatkowski sich um. Sein Erstaunen wächst. Vor ihm steht eine Frau, von Mitte oder Ende Dreißig. Sie sieht aus wie ein betrunkener Engel. Ihr Gesicht hat etwas Altmodisches und ist sehr blaß. Ein Lukas Cranach hätte sie zum Modell gewählt. Ihr Blick ist lauernd und weltentrückt zugleich, vielleicht weil sie betrunken ist.
    Im Arm hält sie einen Hundewelpen mit Knickohren, ihr blondes Haar – Engel sind immer blond – hängt dem Welpen wie ein zerfranster Vorhang vor der Nase. Der Hund schnappt danach und verwickelt sich mit seiner keck vorstehenden Schnauze darin. Die Frau ist Karla.
    Kwiatkowski wird das erst viel später erfahren, jetzt hält er sie für eine Erscheinung. Da fragt man nicht nach Namen. Sie erinnert ihn an jemanden. Das geht ihm seit seiner Zeit als Totengräber und
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