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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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Geschichten, findet der Antiquar, sinnlos wie das ganze Leben, wenn man sich nichts vormacht. Der Jakob freilich hat sich immer was vorgemacht und sich für eine lokale Größe gehalten, weil er einmal ein Lied über den Kattenbug gedichtet hat, das in der Rundschau abgedruckt und von einem kleinen Karnevalsverein zum Erkennungslied erkoren worden ist. Danach galt der Jakob als Kölns fröhlichster Kioskbesitzer, und manchmal schauten Journalisten vorbei, Volontäre mit Hang zur großen Sozialreportage, um über ihn und den sterbenden Kattenbug zu berichten. Dann hat der Jakob Sprüche geklopft, »da könnte ich Ihnen Geschichten erzählen, Geschichten«, und hat nicht weiter gewußt. Besser er hätte den Mund gehalten, findet der Antiquar.
    In diesem Jahr wollte Jakob sein Jubiläum feiern: Fünfunddreißig Jahre fröhlicher Kioskbesitzer vom Kattenbug. Ein Straßenfest hat er geplant, das immer größere Ausmaße annahm und die Gasse zu sprengen drohte, Jazzkapellen auf Pritschenwagen, ein Kinderkarussell, selbstgezimmerte Reibekuchenbuden vom Dachdecker, Lotteriespiele für einen guten Zweck, Trödelstände entstanden in seinem Kopf und ein Ansturm der Presse.
    »Der Kattenbug, das ist überhaupt das Leben, da liegt die Welt drin«, hat er getönt, fröhlich übersehend, daß das ganze Land im Sommer zum Straßenfest wird und die Jazzkapellen einen bis auf die Rolltreppen neu eröffneter Einkaufszentren verfolgen. Lenchen hat ihn wie immer machen lassen, bis kurz vor Schluß.
    Am Ende ist Jakob erstickt. Lungenkrebs. Den letzten Atemzug hat er nicht mal mehr ausgestoßen, die Luft ist woanders entwichen, wo Jakob sie nicht mehr brauchen konnte. Kwiatkowski, der Maulheld, hat aus seiner Zeit als Totengräber mal erzählt, daß die Leichen sogar im Sarg noch furzen. Kein Wunder, daß der Antiquar so was nicht wissen will.
    Vier Wochen nach der Diagnose war Jakob schon tot. Ohne letzte Worte. Unpassendes Ende für einen geborenen Faselhans, würde der Antiquar sagen, wenn er davon erzählen würde. Aber er hat sich seither ganz aufs Schweigen verlegt.
    »Der Jakob ist die Stimme, und du bist das Ohr«, hat Lenchen früher immer gemeint, und wenn sie ein wenig betrunken war, hat sie hinzugefügt: »Zusammen gebt ihr einen ganz anständigen Mann ab.«
    Unsinn, würde der Antiquar sagen und wieder den Walkürenritt auflegen. Gerade wimmeln und wuseln die Streicher ein dramatisches Furioso zusammen, hektisch, so als müßten sie verstreute Noten vom Boden auflesen und dabei die Bläser einholen oder einen Bus.
    Die können schon nerven, diese Walküren, denkt Kwiatkowski und holt die im Aprilwind knatternde Eisfahne ein. Überhaupt Wagner, viel zu aufgedonnert, kein Sinn für Stille. Gute Musik öffnet in uns verborgene Räume, bei Wagner ist es so, als schlüge er mit Wucht alle Türen zu. Findet Kwiatkowski.
    Nikita wiederum, die sich von Pflasterstein zu Pflasterstein – nie auf den Strich treten und nur jeden zweiten Stein nehmen – auf den Kiosk zuarbeitet, in der Hoffnung, ihn zu erreichen, bevor Kwiatkowski das Rollgitter hinabfahren läßt, findet das Wüten der Wagnergeigen wunderschön. Da wird sich der Eckenflüsterer nicht aus seinem Versteck bei der verlassenen Metzgerei heraustrauen. Der steht da, seit Jakob tot ist, und murmelt Verwünschungen. Und vielleicht verstummt unter der Musik auch die schwindelhohe Ziegelmauer vom Trümmergrundstück neben dem Kiosk, die ein einziges Wispern und Flüstern ist, weil sich in ihrem Moos und ihren Ritzen nachts die Dämonen und Spottgeister versammeln.
    Es ist nicht leicht, wenn man neun Jahre ist und die eigene Mutter vor den Dämonen beschützen muß, die überall lauern, weil sie so wunderschön ist, daß an ihr ständig das Häßliche Rache nimmt. Beim Tarotspiel zieht die Mutter immer den Tod, ein höhnisch grinsendes Gerippe.
    Ratsch – das Rollgitter ist unten, und Nikita erschrickt, zwingt ihren Atem nieder. Jetzt muß sie ganz leise sein, um die Hölle nicht zu wecken. Mit doppelter Anstrengung starrt sie aufs Pflaster, nur keinen Strich berühren, den Fuß ganz vorsichtig auf den übernächsten Pflasterstein setzen und lautlos ausatmen. In der Badewanne übt sie unter Wasser regelmäßig das Luftanhalten und hat es schon auf eine Minute gebracht.
    Früher hat der Jakob oft in der Kiosktür gestanden und gewartet, ob sie noch kommt. »Na, Spritzbilla, wo marschierte lang«, hat er gerufen, und der Antiquar stand daneben und hat so grimmig geguckt, daß die
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