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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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so wenig wie an Träume. Kwiatkowski weiß das, höchste Zeit, daß er abhaut.
    »Egal, was Jakob wollte, ich schaff’s nicht, den Laden hochzuhalten.« Aber bis zum Hindukusch mit einem Tiger auf dem Schoß, das schaffst du, denkt Kwiatkowski, sagt aber nur: »Dann nehmen Sie einen Teilhaber mit rein. Irgendwas Junges, ein anderes Gesicht, lockt vielleicht andere Kunden an. Die aus der Leichenhalle, die haben Geld.«
    »Jemand Fremdes im Laden? Das hat der Jakob nie gewollt. Da hätte er lieber alles an den Krahwinkel verkauft.«
    »Da sei Gott vor«, sagt Kwiatkowski mit gespieltem Entsetzen. An den Krahwinkel wird auch Lenchen nicht verkaufen. Schulden hin, Schulden her.
    »Aber einen Teilhaber wollte er nicht. Nee, war immer ein Familiengeschäft. So mit der offenen Kasse, da kann man einem Fremden nicht trauen.«
    Du traust keinem mehr, denkt Kwiatkowski nüchtern und erinnert sich an die Szene vor zwei Tagen, als Lenchen wegen einem halben gefrorenen Toastbrot, das er Buddy geschenkt hat, eine Szene gemacht hat und nicht glauben wollte, daß er – der Kwiatkowski – so was aus seiner eigenen Tasche bezahlt. Er klaut doch keine halben Brote und spielt damit den Wohltäter. Geld ist nicht wichtig.
    Seit Jakob tot ist, glaubt Lenchen schutzlos der Gier und Verschlagenheit der Menschen ausgesetzt zu sein. Ganz verbiestert hält sie an dem Glauben fest, daß sie ohne Mann aufgeschmissen ist, ohne einen, der ihr sagt, wo es lang geht. Ob in Nepal oder im Geschäft. Noch ein Grund dafür, daß Kwiatkowski sie siezt. Je näher man sich auf dem Kattenbug kommt, desto mehr hat man sich hinterher vorzuwerfen. Am Ende ein ganzes Leben. Er ist schon viel zu lange hier. Nur wegen Jakob, der die Welt für sich auf diesem kleinen Stück Straße zusammengepreßt hat. Das hat ihn fasziniert wie die Leichen, die er mal gewaschen hat.
    »Die wahren Mysterien finden heutzutage auf dem Hauptbahnhof statt«, hat der Beuys gesagt. Kwiatkowski will den Seelen auf den Grund gehen, aber sich nicht in deren alltäglichen Kleinmut verstricken. Hier muß jedenfalls bald Feierabend sein, zumal er das Stipendium für Florenz in der Tasche hat.
    »Versuchen Sie es erst mal mit einer richtigen Aushilfe, halbtags«, sagt Kwiatkowski entschlossen. »Ich mach mal ein Schild an die Tür.«
    Lenchen nimmt noch einen Schluck aus der Flasche, dann steht sie auf. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber es müßte jemand sein, dem Jakob vertraut hätte.«
    »Wie wäre es dann mit dem Dachdecker?« fragt Kwiatkowski.
    »Machen Sie keine blöden Witze. Das mit dem Dachdecker war nur so ’ne Schwäche von Jakob. Der hatte nun mal ein Herz für Sonderlinge.« Wie für dich, fügt Lenchen heimlich an.
    Sie verschwindet hinter der Wolldecke, die die Zugluft aus dem Bierraum abhalten soll, dann klappt die Eisentür zum Hof. Lenchen verzieht sich in die Küche, um alleine ihren Amselkeller zu trinken und vor dem zu großen Kamin mit dem toten Jakob zu sprechen, darüber, wie wütend sie sein Verschwinden macht und daß sie morgens immer noch sein Kissen umarmt, ganz fest, bis ihr die Luft wegbleibt und sie aufstehen muß, um den Laden, den sein Vater gegründet hat, in Schwung zu halten.
    Sie bleibt kurz im Hof stehen und betrachtet den grünenden Knöterich. Das Leben geht eben weiter, die Lücken schließen sich lautlos, kann sterben, wer will. Irgendwie ist sie froh, daß Kwiatkowski die Führung übernommen hat. So kennt sie es, und so will sie es, auch wenn der Kwiatkowski erst knapp über vierzig ist und überhaupt nicht ihr Typ, ein Mann ist er doch. Wenn sie nur wüßte, wovon der so träumt. Totenköpfe? Ekelhaft. Aber daß er überhaupt nicht träumt? Gibt’s nicht. Männer haben immer Träume, unsinnige Träume, die Frauen ein wenig zurechtstutzen müssen, aber behutsam. So sieht Lenchen die Liebe und hat viel geliebt in ihrem Leben und hat die Männer so behutsam zurechtgestutzt, daß die überhaupt nichts davon gemerkt haben.
    Sie klinkt die Tür zur Küche auf und macht Licht. »Ich muß endlich mal staubwischen«, sagt sie laut zu den Möbeln.
    Kwiatkowski steht noch im Kiosk, bereut mehr und mehr, worauf er sich mit dem Gespräch eingelassen hat, und malt mit schöner Künstlerschrift ein Schild. »Zuverlässige Aushilfe mit Kioskerfahrung gesucht.« Gut möglich, daß das sein Abschiedsgruß wird. Er atmet befreit auf.
    Oben verklingen die Walküren.
    Noch einmal läßt Kwiatkowski das Gitter hoch, zieht Tesastreifen vom Roller und
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