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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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Dachdecker, der kriegt auch seinen Korn mit Büchsensahne zu einsachtzig, was zusammen Mäusemilch heißt und den Magen schont, aber billiger ist als ein kleiner Jägermeister zu zweineunzig.
    »Ich bin nicht so fürs Süße«, erklärt der Dachdecker ein ums andere Mal seine Abscheu gegen den klebrigen Magenlikör, wenn sonst kein Gespräch aufkommen will. In seine Mäusemilch gehört ein Stück Zucker, kein Krümel mehr. »Wegen der Bauchspeicheldrüse.« Ihm ist wichtig, daß man über seine Gesundheit Bescheid weiß und darauf gefälligst acht gibt. Frau Lena respektiert das, tut zumindest so, als ob sie hinhört, wenn sie nicht gerade Zigarettenpäckchen einsortiert oder die Kühlschränke auffüllt oder feucht durchwischt, weil eine Pfandflasche nicht sauber geleert war und saures Bier auf den Boden ausgelaufen ist.
    »Macht ma Platz, bitte«, scheucht Lenchen die Mäusemilchtrinker rüde zur Seite, wenn besonders ernsthafte oder besonders eilige Kundschaft kommt. Die Ernsthaftesten sind meist die Eiligsten und nehmen sogar mal eine Flasche Moet mit zu sechsundfünfzig Mark. Man kann nie wissen, weshalb bei so welchen sogar der Kwiatkowski die Tagediebe mit hochgezogenen Brauen und dem Kopfruck »Abmarsch« vom Kioskfenster wegdirigiert. Er hilft hier nur aus, weil der Jakob ja nun tot ist, dem die Bude eigentlich gehört hat. Was heißt eigentlich. Für die meisten gehört sie ihm noch, obwohl jetzt ein paar Zentner Erde auf ihm lasten.
    Die alte Rose Quittländer läuft jeden Tag vorbei, um gegen Jakobs unerwartetes Ableben zu protestieren, und kauft keine Rätselhefte mehr. Jakobs Tod ist für sie eine glatte Beleidigung. Macht sich einfach so vom Acker. Vor seiner Zeit. Mit eben mal achtundsechzig. Die alte Rose ist fast fünfzehn Jahre älter, als der Jakob war. Da stirbt man nicht einfach vorneweg. Ein Jahr ist das her, und Rose hat seitdem nicht mehr gegrüßt, denn die Lena wohnt gerade mal zwanzig Jahre auf dem Kattenbug, rannte früher in bodenlangen Wallegewändern barfuß herum, lächelt zuviel und tut so verbindlich, als wäre bei ihr, der Rose, was morsch im Gebälk. Pah, wer ist denn barfuß durch die Gasse gelaufen? Sie wird noch den ganzen alten Kattenbug überleben, und keiner wird – wie beim Jakob – an ihrem Grab stehen und verklärend seufzen. Schon gar nicht die Zugezogenen. Für Rose Quittländer ist das jeder, der nicht hier geboren ist oder wenigstens ein halbes Leben hier wohnt und sie unaufgefordert von Anfang an grüßt. Anders als die Bagage, die weiter oben an wohnt und sich für was Besseres hält.
    Gut hundert Meter entfernt, auf der gleichen Seite, werden die Häuser wirklich besser. Da, wo die Gasse einen Bogen schlägt, zum Trichter wird und frisch asphaltiert in eine vierspurige Schnellstraße mündet, die Köln von Ost nach West zerschneidet. Hier steht ein Bürohochhaus mit braun verspiegelten Fenstern, häßlich wie der Straßenlärm, und ein einsames, unversehrtes Mietshaus aus der Gründerzeit, von Bomben verfehlt, obwohl der ganze Kattenbug vierundvierzig lichterloh brannte und der Phosphor sich bis in die Keller fraß und die Menschen zu schwarzen Klumpen schrumpeln ließ, kaum größer als ein Brot. Am Tag danach konnte man bis zum Dom sehen.
    Die Rose Quittländer weiß das noch. Aber wen interessiert das schon? Jedenfalls ist das Gründerzeithaus seither fehl am Platze, begrünt, berankt, mit frisch geweißtem Stuck und diesem Brimborium von heiler Welt ohne Untergang. In den Fenstern hängen gehäkelte Halbgardinen, dahinter wohnen Studienräte und Steuerberater. Im Erdgeschoß haben die Rosenkreuzer ihr Zentrum. »Gott ist das Licht, und alles Licht ist bei Gott«, verkündet ein verblichenes Plakat in einem mannshohen Flügelfenster. Davor welken Stiefmütterchen.
    Neben dem Altbau erheben sich graubraune Achtziger-Jahre-Festungen aus Betongußteilen mit wehrhaften Balkonen, in deren Gevierten sich das Rauschen des Verkehrs fängt. Hier wohnen die mittelmäßig Satten, die vom Leben längst Enttäuschten, die Sachbearbeiter und Angestellten, deren Träume sich im Lottogewinn erschöpfen. Ihre einzige Frage ans Leben lautet: »Und wer bezahlt das wieder?« Darauf haben sie auch die Antwort: »Wir.«
    Da wird abends um neun die Haustür verschlossen – zweimal rum – wegen der Eierdiebe und dem anderen Gelichter vom Kiosk, dem man die gemeinsten Grausamkeiten zutraut, schon wegen der Hundehaufen im Kopfsteinpflaster. Hier wird jeden Samstag der Keller gefegt.
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