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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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Baustellengitter und späht nach dem tiefen, lehmigen Schacht. Die Sonne verkrustet das Erdreich. Morgen soll es weitergehen. Der Bagger ruht trügerisch und teilnahmslos, das Maul gesenkt. Da haben sie gestern den letzten Polen rausgezogen. Konnte sie doch nicht wissen, daß das nichts bringt. Falsch war es trotzdem nicht. Sie unternimmt wenigstens was, die anderen schwätzen nur, sogar Karla. Schwarzarbeit ist doch verboten.
    Und dieser Buddy, herrje, so einer geht schon nicht unter. Der ist zäher als der Rest der Bande, für so was hat sie einen Blick, und so deppert wie alle meinen, ist der auch nicht. Gehört schon was zu, sich ohne Sprache durchs Leben zu bringen, wird auch diesmal klappen.
    Den haben sie als Säugling im Wald gefunden, hat der Jakob erzählt. Vielleicht stimmt’s ja. Möglich wär’s. Bei Stettin hat er im Laub gelegen. Sein Schädel hatte ein Loch, und die Mutter daneben war tot, Rock hochgerollt, Kopf zertrümmert.
    »Den Rest kann man sich denken«, hat Jakob gesagt, und Rose hat genickt. Genau. So war das damals. Andere haben auch Verbrechen begangen, jawohl. War auf der Flucht. Bestimmt Russen, und dann ist der Kleine in Auffanglagern und Heimen gewesen, wollte keiner haben, das Kind. Nur die – wie hieß die noch, egal, vergessen – wohnte direkt um die Ecke – hat ihn genommen, da war er schon sieben, und immer noch kamen Suchmeldungen vom Roten Kreuz im Radio und in der Wochenschau. Erst Adenauer, dann paar Quickstep-Girls, dann die Filmaufnahmen von Flucht- und Bombenwaisen, die ihre Namen vergessen hatten.
    »Wer kennt dieses Kind? Es ist etwa sieben Jahre alt. Im März 1945 war es mit dem Treck von Allenstein unterwegs nach Stettin.« Na, dieses Kind erkannte natürlich keiner mehr, war ja ein Baby gewesen, und dazu hatte er inzwischen dieses verdrückte Gesicht und überhaupt nie reden gelernt.
    Aber die – daß ihr der Name nicht einfällt, na jedenfalls die – hat ihn genommen. Hat ihn ordentlich gekämmt und gewaschen, pickobello. Als er klein war, hat man kaum gemerkt, wie deppert der war. Alle Kinder reden unverständliches Zeug, und Buddy sah aus wie gerade mal fünf. Die Frau hat sich gekümmert und keinen rangelassen. Wollte natürlich auch keiner ran an die beiden, waren ein sonderbares Paar. Man schaut halt nicht hin. Waren die Fünfziger. In den Sechzigern war Buddy nur noch der Depp von der Huhnsgasse.
    »Aber die Frau hat sich gekümmert«, hat Jakob gelobt. »Die kümmert sich.« Sonntags sind sie immer spazierengegangen, Buddy – also eigentlich Walter, aber das hat er vergessen, das haben alle am Kattenbug vergessen oder nie gewußt – an ihrer Hand. Als sie tot war, mußte er allein klarkommen, macht der jetzt schon seit fünfzehn Jahren. Aus dem Heim von der Fürsorge ist er gleich abgehauen, zurück zum Kattenbug.
    »Heime sind nix für den«, hat Jakob gesagt. »Der braucht Luft. Ist ein Rumtreiber.« Am Ende hat der Dachdecker ihn sozusagen adoptiert. Der hat ihm den Namen Buddy verpaßt. Der Buddy findet immer einen, der findet sich zurecht. Was weiß so ein Kwiatkowski schon über so einen.
    Die Glocken rufen mit versetztem Mehrklang zum Gottesdienst. Ostern ist ihr das liebste Fest. Wegen der Auferstehung, und weil das Frühjahr beginnt, ein weiteres Frühjahr, ihr vierundachtzigstes. Vielleicht ihr letztes. Das denkt sie nicht gern. Man hängt halt am Leben, ihr würde es fehlen. Fehlt so schon genug.
    Daß sie heute Geburtstag hat, daran denkt keiner. Der Jakob hätte es gewußt und wenigstens einen von den Osterhasen hergeschenkt. Die sind ohnehin schon fast hinüber, und morgen gibt es sie zum halben Preis. Aber so was tut Lenchen nicht.
    Dann kauft sie sich eben einen. Im Drogeriemarkt. Pah, sind selbst schuld.

23
    K wiatkowski ist fertig. Er rollt die Ständer ins Atelier. Er hat sie bei einer Schulauflösung billig erstanden. Sie sind dafür gemacht, Skelette hineinzuhängen. Er reiht seine Totentänzer auf, biegt ihre Arme zurecht, probiert Tanzfiguren an ihnen aus, setzt ihre Füße voreinander. Die Braut kommt in die Mitte. Ihren Schädel hat er blutrot bemalt. Getrocknete Rosen wuchern ihr aus der Brust. Er weiß nicht warum, nur daß es so genau richtig ist. Am Ende tanzen die Toten ein hübsch zierliches Menuett. Die Galeriebesucher dürfen das später ändern. Vielleicht kommt ein Tango dabei heraus, noch besser ein Volkstanz. Interessant, wer sich das trauen wird. Der Lautenspieler hat die schönsten Zähne, sein Schädel ist dem
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