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Der Kirchendieb

Der Kirchendieb

Titel: Der Kirchendieb
Autoren: Claudia Frieser
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    Rache ist süß

    »Das hast du nun davon, du eingebildeter Pfeffersack! Dein Benehmen stinkt zum Himmel. Und das soll nun die ganze Welt wissen.«
     Johanna grinste zufrieden und gab einem kleinen Jungen ein Zeichen. Seine Kleidung war wie die der anderen Kinder viel zu
     groß und mehrmals geflickt.
    »Du bist dran, Lenz!«
    Der Junge lächelte schadenfroh, griff nach einem vollen Holzeimer und leerte den stinkenden Inhalt über sein Opfer aus.
    Andreas hatte keine Chance, sich zu wehren. Sämtliche Flüche, die er ausstieß, halfen ihm nichts. Claeß und Krischer hatten
     ihn fest im Griff.
    Die anderen Kinder, Jungen und Mädchen im Alter von sieben bis zehn Jahren, die ihm den Fluchtweg aus der schmalen Gasse versperrten,
     hielten sich angewidert die Nasen zu, als der Schweinemist an Andreas hinunterlief. Dann jubelten sie lautstark.
    Johanna sah, wie gut es ihnen tat. Sie alle hatten es nicht einfach. Ihre ausgemergelten Körper undblassen Gesichter waren von Hunger gezeichnet, die Kleidung war schon von vielen anderen vor ihnen getragen worden. Da waren
     die Anna und ihre jüngere Schwester, das Märtlein, der kleine Lenz, die stumme Agnes und der hinkende Gerch. Claeß, Krischer
     und Zecke waren die ältesten der Jungen. Sie alle lebten von der Hand in den Mund. Das, was sie und ihre Eltern durch Tagelöhnerarbeiten
     verdienten, reichte oft nicht aus. Manchmal blieb nur das Betteln vor den Kirchen, um nicht zu verhungern. Sie hatten sich
     zu einer Bande zusammengeschlossen, um sich gegenseitig vor niederträchtigen Erwachsenen zu beschützen, aber auch vor jenen
     Gleichaltrigen, wie diesem Andreas und seiner Bande eingebildeter Kaufmannssöhne, die sich selbst
Die Gilde
nannten. Keine Gelegenheit ließen diese aus, um sie zu beleidigen, zu treten und zu bespucken. Sie selbst nannten sich
Weiße Rose
. Weiß, weil sie immer redlich bleiben wollten, und Rose, weil sie ebenso wehrhaft waren.
    Heute Morgen hatten Johanna und ihre Freunde sich in das Gebiet der »Pfeffersäcke« gewagt. Im Schatten eines schmalen Durchgangs,
     der von der prachtvollen Straße abzweigte, hatten sie sich auf die Lauer gelegt und gewartet. Gleich um die Eckewohnte Andreas, deren Anführer. Johanna wusste, dass er früher oder später hier entlangkommen würde, wie jeden Tag außer sonntags.
     Sein Vater konnte es sich leisten, seinen Sohn auf die feine Lateinschule in diesem Teil der Stadt zu schicken. Der Überfall
     von Johanna und ihren Freunden kam für Andreas so überraschend, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte zu entkommen. Lautlos
     und unbemerkt hatten sie sich den Jungen gegriffen und in die menschenleere Gasse geschleift.
    »Ihr stinkendes Lumpengesindel! Das werdet ihr mir noch büßen!«, brüllte Andreas.
    »Das geschieht dir ganz recht, du verzogenes Muttersöhnchen! Wie nennt deine feine Bande uns immer?« Johanna machte eine kurze
     Pause und tat so, als würde sie angestrengt nachdenken. »Ach ja!
Stinkende Straßenköter.
Nun, ich kenne nur einen, der hier pestilenzartig stinkt, und das bist du!« Das Mädchen lachte und gab den anderen ein Zeichen,
     den vor Ekel würgenden Andreas loszulassen.
    »Kommt! Hier stinkt es mir zu sehr. Lasst uns gehen!« Lauthals lachend rannten sie davon. Nur kurz drehte sich Johanna um
     und sah Andreas hinterher, der wild nach den Fliegen schlug, die er im Nu magisch anzog.
    Das geschieht ihm recht, dachte Johanna. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit waren Andreas und seine Freunde herablassend
     und gemein zu ihnen. Erst gestern hatten sie den kleinen Lenz gezwungen, Regenwürmer zu essen. Er hatte vor St. Ursula gesessen
     und für sich und seine Familie gebettelt. Unter dem Vorwand, ihm etwas zu essen geben zu wollen, lockten Andreas und seine
feine
Bande den Kleinen in eine Gasse.
    »Jetzt musst du nicht mehr hungern«, hatten sie scheinheilig gesagt und ihm daraufhin kichernd die Regenwürmer in den Mund
     gestopft.
    Allein der Gedanke daran machte Johanna wütend. Nur weil sie im Griechenmarktviertel wohnten, hieß dies noch lange nicht,
     dass man auf ihnen herumtrampeln durfte. Sicher, das Viertel mit seinen umliegenden schmalen und dusteren Gassen war eines
     der verrufensten Quartiere der Stadt. Nicht nur redliche Arme lebten hier, sondern auch fremde Bettler, die gegen Bezahlung
     Unterschlupf fanden, ebenso wie Gaukler, Musikanten und Dirnen. Die Gassen zogen vor allem das Diebesgesindel an wie das Licht
     die Motten. Johanna hätte viel darum
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