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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk
Autoren: Sabine Werz
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mithelfen.
    Lenchen ist einverstanden mit dem Fest im Metzgerladen. »Is ja auch fürn Jakob«, hat der Dachdecker gesagt, »zum Angedenken«. Aber im Hof will Lena die ganze Bande nicht wieder haben, hat sich sowieso in letzter Zeit bißchen weit rausgelehnt. Jetzt, wo sie bleibt, muß sie wieder Abstand halten. Der Karla hat sie auch schon Bescheid gesagt, wegen der offenen Kiosktür gestern nacht und dem selbstverfaßten Deckel vom Dachdecker. Ganz leise hat sie Bescheid gesagt, aber Ordnung muß sein.
    Karla ist in die Stadt gegangen, muß noch was besorgen. Das hat sie schon seit Sonntag vor, als der Antiquar mit den Margeriten vor ihrer neuen Wohnung stand. Stumm.
    »Komm doch rein«, hat sie gesagt. Der Antiquar hat die Blumen auf einen Stuhl gestellt und sich ans Fenster. »Ich muß dir was erzählen. Von früher.« Von Schäng und seinem Vater. Er hat mit den Briefen vom Schäng angefangen, war ja Karlas Großvater. »Die mußt du mal lesen.«
    »Gern.«
    Hat nicht gesagt: »Das ist doch alles schon solange her.« Hat nicht gesagt: »Vergiß das doch.« Und der Antiquar hat solange erzählt, bis Karla nach unten mußte, in den Kiosk. Zum Abschied hat sie gesagt. »Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen – wem erzählst du das?« Sie kann nicht wissen, daß ihre eigene Großmutter, die Frau vom Schäng, das auch schon gesagt hat. Es ist gut, den Satz noch einmal von einer Lebenden zu hören. So lange danach.
    Von ihrer Großmutter will der Antiquar auch erzählen.
    Wenn man einmal anfängt, kann man nicht aufhören, und das Kind hat ein Recht auf seine eigene Geschichte, auf die andere Hälfte, nicht nur die von der Mutter.
    »Später«, hat Karla freundlich gesagt. »Später. Wir haben Zeit.« Der Antiquar ist sich da nicht so sicher. Ihn drängt es, vielleicht weil er so lange geschwiegen hat, oder der Lunge wegen, oder vielleicht ist es das Herz.
    Nikita steht am Metzgerfenster. Da fehlt was. Das Schild ist weg, das mit der Teewurst zu neunundvierzig Pfennig. Die Scheiben haben sie aber nicht geputzt. Filou schnüffelt an einer Regenrinne. »Laß das«, sagt Nikita streng, »hier ist gleich ein Fest.«
    Der Dachdecker trägt einen Stuhl raus, es ist ja noch warm. »Kannst dem Buddy mal tragen helfen«, sagt er zu dem Mädchen.
    Lenchen schaut sich besorgt die wachsende Stuhlgruppe gegenüber an. Das gibt wieder Ärger mit denen aus den Festungshäusern. Fragt sich überhaupt, wer alles kommt. Die Quittländer sicher nicht, die schmollt.
    Was nicht ganz stimmt. Rose Quittländer will zu dem Fest, schon wegen Jakob, dem ist sie das schuldig. Sie hat auch ihre weiße Handtasche wiedergefunden, die lag im Wäschepuff. Wie ist die da nur hingekommen? So morsch ist sie doch wirklich noch nicht im Gebälk. Was soll eine Ledertasche zwischen der Wäsche? Sie will bloß hoffen, daß ihr kommender Alltag nicht mit lauter so absurden, lästigen Rätseln angefüllt ist.
    Rose sitzt am Küchentisch und hat die Handtasche auf dem Schoß. Sie ißt den Rest von der samstäglichen Linsensuppe. Gestern gab’s Lamm, das hat geschmeckt. Auf dem Küchenbuffet steht der Osterhase vom Drogeriemarkt, dem wird sie gleich ein Ohr abbeißen. Hat sie als Kind schon gemacht, die Osterhasen Stück für Stück zerlegt. Erst die Ohren, dann die Füße, den Rest später. Alles zu seiner Zeit, ganz langsam, es gab ja nicht viel. Schokolade war kostbar, ist es noch für sie, egal wie billig. Rose gibt einen Spritzer Essig in die letzten Linsen, rührt, pustet, führt nachdenklich den Löffel an den Mund.
    Natürlich will sie zum Fest, egal was die Leute sagen. Schert sie einen Dreck, jawohl. Ihr Herz klopft im Protest zwei Takte schneller. Sie will es zum Schweigen bringen. Der Jakob, denkt sie, hätte einfach gesagt: »Du kommst auch Rose, basta.« Sie hört seine Stimme jetzt ganz deutlich neben sich.
    »Komm, Rose.«
    Um ihren Kopf legt sich eine eiserne Klammer und drückt. Dann ist nur noch Rummel in ihrem Kopf, die Gedanken zerwirbeln ihr unter einem blitzförmigen, sehr hellen Schmerz. Der Eisenring zieht sich zusammen, dringt ein, daß ihr das Blut stockt. Der Löffel gleitet aus ihrer Hand zu Boden. Rose Quittländer fällt nach vorn, auf den Tisch. Die linke Wange streift hart den Teller. Der kippelt, bäumt sich auf, dreht sich, rollt über die Tischkante in die Tiefe. »Der ist hin«, sieht Rose Quittländer noch und hält dabei die Handtasche fest. Dann ist es still, nur der Teller dreht einen letzten klirrenden Kreis auf
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