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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Autoren: Sue Grafton
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Gegend von Perdido oder Santa Teresa niederzulassen. Man hatte mir neben dem Namen des Mannes seine letzte Adresse, sein Geburtsdatum und seine Sozialversicherungsnummer mitgeteilt und mich beauftragt, die Suche nach ihm aufzunehmen. Ich kannte außerdem Modell und Marke des Wagens, den er zuletzt gefahren hatte, sowie das Kennzeichen, das das Fahrzeug in Tennessee zuletzt gehabt hatte. Ich hatte bereits zwei Briefe nach Sacramento geschrieben: einen an die örtliche Führerscheinstelle mit der Bitte um Auskünfte über den Gesuchten; den anderen an die Fahrzeugmeldestelle, um zu prüfen, ob er seinen 83er Ford Lieferwagen angemeldet hatte. Im Augenblick war ich dabei, die öffentlichen Versorgungswerke in der Gegend anzurufen, um herauszubekommen, ob es einen Neuanschluß auf den Namen des Mannes gab. Bisher hatte ich kein Glück gehabt, aber es machte trotzdem Spaß. Für fünfzig Dollar die Stunde bin ich bereit, fast alles zu tun.
    Als die Sprechanlage summte, beugte ich mich automatisch vor und drückte auf den Knopf. »Ja?«
    »Sie haben Besuch«, sagte Alison. Sie ist vierundzwanzig, temperamentvoll und tatkräftig. Sie hat blondes Haar, das ihr bis zur Taille reicht, trägt Größe 34 und krönt das i in ihrem Namen entweder mit einem Gänseblümchen oder einem Herz, je nach Laune, die aber immer gut ist. »Ein Mr. Voorhies von der California Fidelity Versicherung.«
    Ich spürte förmlich, daß über meinem Kopf wie bei einer Comicfigur ein Fragezeichen Gestalt annahm. Mit zusammengekniffenen Augen beugte ich mich tiefer über die Sprechanlage. »Mac Voorhies ist bei Ihnen draußen?«
    »Soll ich ihn zu Ihnen schicken?«
    »Ich komme vor«, sagte ich.
    Ich konnte es nicht glauben. Mac war bei der California Fidelity mein direkter Vorgesetzter gewesen. Und sein Boß, Gordon Titus, war der Mann, der mich an die Luft gesetzt hatte. Zwar hatte ich mich inzwischen mit der beruflichen Veränderung ausgesöhnt, aber wenn ich an diesen Kerl dachte, kam mir immer noch die Galle hoch. Flüchtig schwelgte ich in Phantasien, Gordon Titus hätte Mac geschickt, um mich um Verzeihung zu bitten. Fla, ha, das glaubst du doch wohl selbst nicht, dachte ich sofort. In aller Eile sah ich mich in meinem Büro um; keinesfalls sollte es aussehen, als pfiffe ich auf dem letzten Loch. Das Zimmer war nicht groß, aber es hatte ein eigenes Fenster, eine Menge saubere weiße Wand und einen flauschigen Wollteppich in gebranntem Orange. Mit den drei gerahmten Aquarellen an den Wänden und dem eineinviertel Meter hohen Ficus sah es sehr geschmackvoll aus. Fand ich jedenfalls. Gut, okay, der Ficus war aus Plastik, aber das merkte man echt nur, wenn man ganz nahe ran ging.
    Ich hätte einen Blick in den Spiegel geworfen (ja, so prompt wirkte Macs Erscheinen), aber ich besitze keine Puderdose, und außerdem wußte ich bereits, was ich sehen würde — dunkles Haar, hellbraune Augen, keine Spur Make-up. Wie immer trug ich Jeans, Stiefel und Rolli. Ich befeuchtete meine Finger und strich mir über mein widerspenstiges Haar, um eventuell abstehende Strähnen zu glätten. In der Woche zuvor hatte ich in einem Anfall totaler Frustration eine Nagelschere gepackt und mir ritsche-ratsche das Haar geschnitten. Das Resultat war erwartungsgemäß ausgefallen.
    Im Korridor wandte ich mich nach links. Mein Weg führte an mehreren Büros vorbei. Mac stand in der Empfangshalle vor Alisons Schreibtisch. Er ist Anfang Sechzig, groß und brummig, mit flaumigem weißen Haar, das seinen Kopf wie ein Heiligenschein umgibt. Die nachdenklichen dunklen Augen liegen ein wenig schräg in seinem langen, knochigen Gesicht. Anstelle der gewohnten Zigarre rauchte er eine Zigarette, von der Asche auf seinen korrekten Anzug gefallen war. Mac war nie einer, der sich angestrengt hat, um körperlich fit zu bleiben, und seine Figur ähnelt nun einer Zeichnung aus der Kinderperspektive: lange Arme und Beine, ein verkürzter Rumpf, auf dem ein kleiner Kopf sitzt.
    »Mac?« sagte ich.
    »Hallo, Kinsey«, sagte er in einem wunderbar ironisch wehmütigen Ton.
    Ich freute mich so sehr, ihn zu sehen, daß ich laut herauslachte. Wie ein tolpatschiger, etwas zu groß geratener junger Hund sauste ich zu ihm und warf mich in seine Arme. Mac reagierte auf soviel Ungebärdigkeit mit einem seiner seltenen Lächeln, bei dem er Zähne zeigte, die von den vielen Zigarren und Zigaretten stark verfärbt waren. »Lange nicht gesehen«, sagte er.
    »Ich kann nicht glauben, daß du hier bist. Komm
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