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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Autoren: Sue Grafton
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Hafen war jetzt durch Hochhäuser verstellt, und in den Straßen wimmelte es von Kindern, die Chichlets verkauft, das Stück für hundert Pesos. Hunde dösten auf den Bürgersteigen in der Sonne. Die Fassaden der Geschäfte an der Hauptstraße leuchteten in kräftigen Blau- und Gelbtönen, in knalligem Rot und Papageiengrün, bunt wie Urwaldblumen. Plakatwände kündeten von weitreichenden kommerziellen Interessen von Fujifilm bis Immobilien 2000. Die meisten geparkten Autos standen mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig, und den Kennzeichen war zu entnehmen, daß Touristen bis aus Oklahoma hierherkamen. Die Geschäftsleute waren höflich und zeigten sich meinem stockenden Spanisch gegenüber geduldig. Es gab keine Anzeichen von Kriminalität oder Rowdytum. Alle waren viel zu abhängig von den amerikanischen Touristen, um es zu riskieren, sie vor den Kopf zu stoßen. Dennoch waren die auf dem Markt angebotenen Waren minderwertig und überteuert, und das Essen in den Restaurants war ausgesprochen zweitklassig. Unermüdlich wanderte ich von einem Ort zum anderen und suchte in den Menschenmengen nach Wendell Jaffe oder seinem Ebenbild.
    Am Mittwochnachmittag — ich war inzwischen zweieinhalb Tage hier — gab ich die Suche schließlich auf und legte mich eingecremt, daß ich wie eine frisch gebackene Kokosmakrone roch, an den Pool. Kühn zeigte ich in einem ausgebleichten schwarzen Bikini meinen Körper, der gesprenkelt war von alten Schußwunden und gestreift von den bleichen Narben diverser anderer Verletzungen, die man mir im Lauf der Jahre beigebracht hatte. Ja, mein körperliches Befinden scheint viele Leute zu kümmern. Im Moment hatte meine Haut einen schwachen Orangeton, da ich, um die winterliche Blässe zu kaschieren, eine Grundierung in Form von Selbstbräunungscreme aufgetragen hatte. Natürlich hatte ich das Zeug unregelmäßig aufgetragen, und an den Fußknöcheln war ich scheußlich fleckig. Es sah aus, als hätte ich eine besondere Form der Gelbsucht. Ich kippte mir den Strohhut ins Gesicht und versuchte, die Schweißbäche zu ignorieren, die sich in meinen Kniekehlen sammelten. Sonnenbaden ist so ziemlich der langweiligste Zeitvertreib auf Erden. Aber positiv war immerhin, daß ich hier von Telefon und Fernsehen abgeschnitten war. Ich hatte keinen Schimmer, was in der Welt passierte.
    Ich mußte wohl eingenickt sein; plötzlich jedenfalls hörte ich das Rascheln einer Zeitung, dann die Stimmen zweier Leute in den Liegestühlen rechts von mir. Sie unterhielten sich auf Spanisch, und in meinen Ohren klang das ungefähr so: Bla-bla-bla... aber... bla-bla-bla-bla... weil... bla-bla-bla... hier. Eine Frau mit eindeutig amerikanischem Akzent sagte etwas von Perdido, Kalifornien, dem kleinen Ort dreißig Meilen südlich von Santa Teresa. Ich horchte auf. Ich war gerade dabei, meinen Hut etwas hochzuschieben, um mir die Frau ansehen zu können, als ihr Begleiter ihr auf Spanisch erwiderte. Ich rückte meinen Hut zurecht und drehte ganz langsam den Kopf, bis ich ihn im Blickfeld hatte. Verdammt, das mußte Jaffe sein. Wenn man das Alter und mögliche kosmetische Korrekturen berücksichtigte, war dieser Mann zumindest ein heißer Kandidat. Ich kann nicht behaupten, daß er dem Wendell Jaffe auf den Fotos glich wie ein Ei dem anderen, aber er hatte eine gewisse Ähnlichkeit: das Alter, die Figur, seine Haltung, die Art, wie er seinen Kopf neigte, für ihn typische Merkmale, derer er sich wahrscheinlich gar nicht bewußt war.
    Er war in eine Zeitung vertieft. Flink huschten seine Augen von einer Spalte zur nächsten. Dann schien er meine Aufmerksamkeit zu spüren und sandte einen vorsichtigen Blick in meine Richtung. Wir sahen uns flüchtig an, während die Frau an seiner Seite weiterbabbelte. Wechselnde Emotionen spiegelten sich in seinem Gesicht, und er berührte mit einem warnenden Blick zu mir den Arm der Frau. Vorübergehend versiegte der Wortschwall. Mir gefiel die Paranoia. Sie sagte einiges über seine geistige Verfassung aus.
    Ich griff mir meine Strohtasche und kramte in ihren Tiefen, bis er das Interesse an mir verlor. Und ich Idiotin hatte meinen Fotoapparat nicht mit! Ich hätte mich ohrfeigen können. Ich holte mein Buch heraus und schlug es irgendwo in der Mitte auf, dann scheuchte ich einen imaginären Käfer von meinem Bein und sah mich um, wobei ich — wie ich hoffte — einen Eindruck absoluten Desinteresses vermittelte. In leiserem Ton nahmen die beiden ihr Gespräch wieder auf. Inzwischen
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