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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Autoren: Sue Grafton
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Sinneswahrnehmungen hat. Das ist der Sauerstoffmangel.«
    »Ich traue diesen Berichten nicht. Die können nur von Leuten stammen, die nicht wirklich gestorben sind, und was wissen die schon? Außerdem bin ich noch nicht bereit zu sterben. Ich habe zu viele Schandtaten auf dem Gewissen«, erklärte ich.
    »Dann sparen Sie lieber Ihre Kräfte. Ich schwimme weiter«, sagte sie und glitt durch das Wasser davon. War die Frau ein Fisch? Ich konnte mich kaum noch bewegen. Das Wasser schien in der Tat wärmer zu sein, aber das war eher beängstigend. Vielleicht war dies das erste Stadium, die Illusion vor der ausgewachsenen Halluzination. Wir schwammen. Sie war stärker als ich. Ich versuchte es mit sämtlichen Stilarten, die mir geläufig waren, um an ihr dran zu bleiben. Eine Zeitlang zählte ich. Eins, zwei. Atmen. Eins, zwei. Atmen.
    »Lieber Gott, Renata. Machen wir doch mal Pause.« Ich hielt keuchend inne und drehte mich auf den Rücken. Ich sah zum Himmel hinauf. Die Wolken erschienen heller als die Nacht um uns herum. Beinahe nachsichtig, hielt sie wieder inne und trat Wasser. Die Wellen in der Dunkelheit waren mitleidlos und lockend zugleich. Die Kälte war betäubend.
    »Bitte kehren Sie mit mir um«, sagte ich. Meine Brust brannte. Ich atmete gierig und bekam dennoch nicht genug Luft. »Ich möchte das nicht tun, Renata.«
    »Ich habe Sie nie darum gebeten.«
    Sie begann wieder zu schwimmen.
    Ich erlebte ein Versagen des Willens. Meine Arme waren wie Blei. Einen Moment lang dachte ich daran, bei ihr zu bleiben, aber ich war einem Kollaps nahe. Ich war durchgefroren und müde. Meine Arme wurden immer schwerer. Ich konnte kaum noch atmen. Ich war aus dem Rhythmus und schluckte jedesmal, wenn ich Luft holen wollte, Salzwasser. Kann sein, daß ich auch weinte. Eine Zeitlang trat ich Wasser. Ich hatte das Gefühl, Ewigkeiten geschwommen zu sein, aber als ich mich umdrehte und zu den Küstenlichtern zurückblickte, war klar, daß wir höchstens eine halbe Meile entfernt waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es sein würde, bis zur Erschöpfung zu schwimmen — in dem dunklen, schwarzen Wasser, bis die Müdigkeit uns überwältigte. Ich konnte sie nicht retten. Ich konnte es im Schwimmen nicht mit ihr aufnehmen. Und selbst wenn es mir gelingen würde, sie einzuholen, was sollte ich dann tun? Sie mit Gewalt unterwerfen? Das würde mir wohl kaum gelingen. Seit ich in der Highschool die Prüfung als Rettungsschwimmerin abgelegt hatte, hatte ich nicht mehr trainiert. Sie war auf dem Weg ins Weite. Ihr war es völlig gleich, ob sie mich mit hinauszog. Wenn Menschen erst einmal getötet haben, können sie manchmal nicht mehr aufhören. Wenigstens wußte ich jetzt, was Wendell Jaffe zugestoßen war und was ihr zustoßen würde. Ich mußte anhalten. Ich trat Wasser, um Kraft zu sparen. Ich konnte nicht weiter. Mir fiel nicht einmal etwas Markiges oder Tiefschürfendes ein, was ich ihr hätte sagen können. Nicht daß sie auf mich geachtet hätte. Sie hatte ihr eigenes Ziel, so wie ich meines. Ein Weilchen hörte ich sie noch, aber es dauerte nicht lang, da wurde das Plätschern von der Nacht verschluckt. Ich rastete eine Zeitlang, dann drehte ich um und schwamm zum Strand zurück.

Epilog
    -----

    Neun Tage später spie der Pazifik Wendell Taffes Leiche aus und spülte sie, mit Tang behängen wie ein Netz, am Strand von Perdido an. Eine besondere Kombination von Tide und stürmischer Brandung hatte sie vom Grund des Ozeans gelöst und an die Küste getragen. Von seinen Angehörigen nahm Michael es am schwersten. Brian hatte mit seinen eigenen Angelegenheiten zu tun, aber er konnte sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, daß sein Vater ihn nicht willentlich im Stich gelassen hatte. Danas finanzielle Probleme wurden durch diesen konkreten Beweis von Wendells Tod gelöst. Michael aber stand mit all den unerledigten Geschäften da.
    Was mich anging, so hielt ich es für ziemlich sicher, daß die California Fidelity, die ich eine halbe Million Dollar gekostet hatte, so bald nichts mehr mit mir würde zu tun haben wollen. Das hätte eigentlich das Ende sein müssen, doch im Verlauf der Monate sickerten verschiedene Fakten durch. Renatas Leiche wurde nie gefunden. Ich hörte zufällig, daß sich bei der Abwicklung ihres Nachlasses herausgestellt hatte, daß sowohl ihr Haus als auch ihr Boot bis zum äußersten mit Hypotheken belastet und alle ihre Bankkonten geleert waren. Das machte mich sehr nachdenklich. Ich begann an der
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