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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Autoren: Sue Grafton
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ausschlagen sollen?
    Das Bild der Hacienda Grande de Viento Negro zeigte ein zweistöckiges Gebäude mit einem Streifen dunklen Strandes im Vordergrund. Im Untertitel wurden ein Restaurant, zwei Bars und ein beheizter Pool angepriesen sowie Freizeitangebote von der Stadtrundfahrt mit freien Drinks bis zum Tennis, Schnorcheln und Tiefseetauchen.
    Meine Nachbarin las mit. Beinahe hätte ich den Prospekt mit der Hand abgeschirmt wie in der Schule, wenn jemand abzuschreiben versuchte. Die Frau war in den Vierzigern, sehr dünn, sehr braungebrannt, sehr schick im schwarzen Hosenanzug mit beigefarbenem Top darunter.
    »Sie wollen nach Viento Negro?« fragte sie.
    »Ja. Kennen Sie die Gegend?«
    »O ja. Und ich kann nur hoffen, Sie haben nicht die Absicht, da zu wohnen.« Sie deutete auf den Prospekt und verzog geringschätzig den Mund dabei.
    »Wieso nicht? Ich finde, das Hotel sieht sehr ordentlich aus.«
    Sie zog leicht die Brauen hoch. »Na ja, es ist Ihr Geld.«
    »Nein, ist es nicht. Ich bin geschäftlich unterwegs«, entgegnete ich.
    Sie nickte nur, offensichtlich nicht überzeugt. Sie tat so, als vertiefte sie sich in ihre Zeitschrift, gab mir aber durch ihre Miene klar zu verstehen, daß sie sich nur mit Mühe zurückhielt. Einen Augenblick später sah ich, wie sie ihrem Nachbarn zur Rechten etwas zumurmelte. Dem Mann hing ein Bausch Kleenex aus einem Nasenloch; vermutlich um das Nasenbluten zu stillen, das durch den steigenden Druck in der Kabine des Flugzeugs hervorgerufen worden war. Der Zellstoffstreifen sah aus wie eine dicke selbstgedrehte Zigarette. Der Mann beugte sich ein wenig vor, um mich besser sehen zu können.
    Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau. »Mal ehrlich. Ist da etwas nicht in Ordnung?«
    »Ach, es ist sicher okay«, antwortete sie gedämpft.
    »Kommt nur drauf an, was man von Staub, Feuchtigkeit und Ungeziefer hält«, warf der Mann ein.
    Ich lachte — hahaha — , da ich annahm, er scherze. Keiner von beiden verzog eine Miene.

    Verspätet lernte ich, daß viento negro »schwarzer Wind« heißt, eine passende Beschreibung für die Wolken dunklen Lavastaubs, die jeden Tag gegen Ende des Nachmittags vom Strand heraufgewirbelt wurden. Das Hotel war bescheiden, ein Bau in Form eines auf dem Kopf stehenden Us, aprikosenfarben gestrichen, mit kleinen Balkonen. Aus Blumenkästen fiel Bougainvillea in kardinalroten Kaskaden herab. Das Zimmer war sauber, aber ziemlich schäbig, mit Blick auf den Golf von Kalifornien im Osten.
    Zwei Tage strich ich auf der Suche nach einem Opfer, das auch nur annähernde Ähnlichkeit mit den fünf Jahre alten Fotografien von Wendell Jaffe hatte, im Hacienda Grande und im Ort, Viento Negro, umher. Wenn alles schiefgeht, sagte ich mir, kannst du immer noch versuchen, in deinem verbesserungsbedürftigen Spanisch das Personal auszuquetschen; wobei ich allerdings Angst hatte, einer der Leute würde Jaffe dann vielleicht einen Tip geben. Vorausgesetzt natürlich, er war überhaupt hier. Ich setzte mich an den Pool, hing im Hotelfoyer herum, nahm den Zubringerbus in den Ort. Ich führte mir sämtliche Touristenattraktionen zu Gemüte: die Sonnenuntergangskreuzfahrt, einen Schnorchelausflug, eine Höllenfahrt über staubige Gebirgsstraßen in einem gemieteten Geländewagen. Ich versuchte mein Glück in den beiden anderen Hotels in der Gegend, in den Restaurants und Kneipen der Umgebung. Ich testete den Nachtclub in meinem Hotel, klapperte sämtliche Discos und Geschäfte ab. Nirgends fand ich eine Spur von ihm.
    Schließlich rief ich Mac an, um ihm von meinen bis dato vergeblichen Bemühungen zu berichten. »Das wird hier allmählich ganz schön teuer. Vielleicht ist er ja längst weg — wenn dein Kollege ihn überhaupt gesehen hat.«
    »Dick schwört Stein und Bein, daß er’s war.«
    »Nach fünf Jahren?«
    »Hör mal, bleib einfach noch zwei, drei Tage dran. Wenn er bis Ende der Woche nicht aufgetaucht ist, kannst du dich in die nächste Maschine Richtung Heimat setzen.«
    »Mir soll’s recht sein. Ich wollte dich nur vorwarnen, falls ich mit leeren Händen kommen sollte.«
    »Das verstehe ich. Versuch’s weiter.«
    »Du bist der Boß«, sagte ich.
    Ich fand Gefallen an dem Städtchen, das man vom Hotel aus mit dem Taxi auf einer staubigen zweispurigen Straße in zehn Minuten erreichte. Die meisten Bauten, an denen ich vorüberkam, waren unfertig, roher Löschbeton, den man dem wuchernden Unkraut überlassen hatte. Der einst herrliche Blick auf den
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