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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Autoren: Sue Grafton
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mit in mein Büro, machen wir’s uns gemütlich«, sagte ich. »Möchtest du einen Kaffee?«
    »Nein, danke. Ich habe gerade welchen getrunken.«
    Mac drehte sich herum, um seine Zigarette auszudrücken, und merkte zu spät, daß es nirgends einen Aschenbecher gab. Er sah sich verwirrt um, und einen Moment lang blieb sein Blick auf der Pflanze auf Alisons Schreibtisch haften. Sie beugte sich vor.
    »Geben Sie ruhig her.« Sie nahm ihm die Zigarette ab und ging mit dem brennenden Stummel zum offenen Fenster. Erst nachdem sie ihn hinausgeworfen hatte, sah sie hinaus, um sich zu vergewissern, daß er nicht in irgend jemandes Kabrio auf dem Parkplatz landete.
    Auf dem Weg nach hinten brachte ich Mac über meine derzeitigen Lebensumstände aufs laufende. Als wir in mein Büro kamen, zeigte er sich angemessen beeindruckt. Wir tauschten den neuesten Klatsch und die letzten Neuigkeiten über gemeinsame Freunde. Ich nutzte die Gelegenheit, um den Mann genauer zu betrachten. Die Zeit war eindeutig nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er hatte weniger Farbe als früher. Und er hatte, nach seinem Aussehen zu urteilen, ungefähr fünf Kilo Gewicht verloren. Er wirkte müde und unsicher, völlig uncharakteristisch bei ihm. Der Mac Voorhies von damals war brüsk und ungeduldig gewesen, gerecht, entschlußkräftig, humorlos und konservativ. Ein Mann, für den sich gut arbeiten ließ. Ich hatte immer seine Reizbarkeit bewundert, die der Leidenschaft entsprang, jede Aufgabe nach besten Kräften zu lösen. Jetzt war der Funke erloschen, und das beunruhigte mich.
    »Alles in Ordnung? Irgendwie wirkst du gar nicht wie der alte.«
    Er antwortete mit einer ungeduldigen Handbewegung — ein unerwarteter Energieausbruch. »Die schaffen es, einem die Arbeit völlig zu verleiden, das kannst du mir glauben. Diese verdammten Kerle da oben in der Chefetage mit ihrem ständigen Gerede von >unterm Strich<. Ich kenne das Versicherungsgeschäft — Mensch, ich arbeite schließlich lang genug in der Branche. Die CF war mal eine große Familie. Wir mußten eine Firma leiten, aber wir haben es mit Menschlichkeit getan, und jeder hat das Revier des anderen geachtet. Keiner von uns ist dem anderen in den Rücken gefallen, und niemand hat die Kunden für dumm verkauft. Aber jetzt — ich weiß nicht, Kinsey. Der Umsatz ist lächerlich. Die Vertreter werden so schnell verschlissen, daß sie kaum Zeit haben, ihre Aktenköfferchen auszupacken. Und immer wird nur von Gewinnspannen und Kostendämpfung geredet. In letzter Zeit merke ich immer wieder, daß ich überhaupt keine Lust mehr habe, zur Arbeit zu gehen.« Er hielt inne und lächelte verlegen. »Lieber Gott, hör sich das einer an! Ich rede wie ein alter Nörgler — was ich ja auch bin. Sie haben mir die >Frühverrentung< angeboten, was auch immer das heißt. Verstehst du, sie machen alle möglichen Verrenkungen, um uns alte Hasen so bald wie möglich von der Gehaltsliste zu streichen. Wir verdienen viel zuviel und sind zu unflexibel.«
    »Und — hast du vor anzunehmen?«
    »Ich weiß noch nicht, aber ja, vielleicht. Vielleicht nehme ich an. Ich bin einundsechzig und müde. Ich würde gern noch ein bißchen Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen, ehe ich ins Gras beiße. Marie und ich könnten unser Haus verkaufen und uns dafür einen Wohnwagen kaufen, ein bißchen was vom Land sehen und die Kinder besuchen. Immer reihum, damit wir keinem auf die Nerven gehen.« Mac und seine Frau hatten acht erwachsene Kinder, alle verheiratet, mit zahllosen eigenen Kindern. Er legte das Thema mit einer abschließenden Geste ad acta, schien in Gedanken schon bei etwas anderem zu sein. »Schluß damit. Ich habe noch einen ganzen Monat Zeit, um es mir zu überlegen. Aber jetzt ist erst mal was anderes dran. Es ist was passiert, und da habe ich sofort an dich gedacht.«
    Ich wartete schweigend, um ihn auf seine Weise erzählen zu lassen. Da ging es immer am flüssigsten. Er zog eine Packung Marlboro heraus und schüttelte eine Zigarette heraus. Erst wischte er sich den Mund mit dem Handrücken ab, dann steckte er die Zigarette zwischen die Lippen. Er nahm ein Heftchen Streichhölzer heraus und zündete die Zigarette an, löschte das Flämm-chen des Streichholzes dann in einer Rauchwolke. Er schlug die Beine übereinander und benutzte seine Hosenaufschläge als Aschenbecher. Ich hatte Angst, daß er seine Nylonsocken in Brand setzte.
    »Erinnerst du dich an Wendell Jaffe, der vor ungefähr fünf Jahren verschwunden
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