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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Autoren: Babak Rafati
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Endstation Sehnsucht
    »Wir alle sind dazu aufgerufen, liebe Trauergemeinde, unser Leben wieder zu gestalten, aber in ihm einen Sinn, nicht nur in überbordendem Ehrgeiz zu finden. Maß, Balance, Werte wie Fairplay und Respekt sind gefragt. In allen Bereichen des Systems Fußball. Bei den Funktionären, bei dem DFB, bei den Verbänden, den Clubs, bei mir, aber auch bei euch, liebe Fans. Ihr könnt unglaublich viel dazu tun, wenn ihr bereit seid, aufzustehen gegen Böses. Wenn ihr bereit seid, euch zu zeigen, wenn Unrecht geschieht. Wenn ihr bereit seid, das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger einer Gesellschaft (…) zu brechen.
    Ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des Anderen. Das wird Robert Enke gerecht. Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit.«
    DFB-Präsident Theo Zwanziger bei der Trauerfeier für Robert Enke am 15. November 2009
    ■ ■ ■
    Es ist der Rausch, ein Stadion zu erleben, das von den Rufen der über 50.000 Fans zu vibrieren scheint. Die Pauken, die Fanfaren, die Schlachtgesänge der Fans. Eine Woge aus Farben, Lichtreflexen, Gerüchen und der Hitze von Körpern spült deinen Verstand in einen Trichter, der alles einsaugt und alles verschmilzt in pure Emotion. Du denkst nicht mehr. Du schreist. Hirnlos und berauscht von Adrenalin. Von diesem Jubel getragen schwebst du mit wie auf einer Wolke durch den Stadiongang in die Arena. Noch wenige Sekunden und du bist allein unter zehntausenden Menschen. Ich bin Schiedsrichter. Schon mit meinem Anpfiff setze ich eine Marke: Ist er zu kurz, kraftlos und ängstlich, habe ich verloren – ist er schneidend laut, alles durchdringend und entschlossen, habe ich schon mal allen klargemacht, ich will Respekt – alles hört auf mein Kommando. Unten am Mittelanstoß, in der Sekunde vor dem Anpfiff, spürst du in elektrischen Stößen die Spannung. Du bist ganz nah dran am Jetzt. 22 Spieler, die einem Ball hinterherjagen. Die mit allen Tricks und Finessen der Fußballprofis nur eines wollen: Tore schießen. Gewinnen. Dann mein Pfiff, die Entladung, die Erlösung. Wir alle sind süchtig nach diesem Rausch, wenn der Ball dem Tor entgegenfliegt – ein anschwellender Schrei aus zahllosen Menschenkehlen, wenn der Ball im Netz einschlägt. Dann weht ein Sturm den Namen des Siegers durchs Stadion, der Rhythmus von dumpfen Pauken reißt die Zuschauer hoch, Trainer und Spieler fliegen mit jubelnden Armen von den Ersatzbänken zum Spielfeldrand. Wir alle wissen, dass wir Süchtige sind, eine weltweite Bruderschaft, süchtig nach diesem Gefühl des Spiels in den großen Fußballarenen der Welt. Ich bin der Schiedsrichter inmitten dieser Tumulte mit ihren verbissen kämpfenden Akteuren. Ich habe sie alle erlebt, dicht neben mir gespürt, ihre schweißüberströmten Körper, ihren Schmerz, ihren Atem dampfen gesehen, sie ihren Hass herausschreien gehört, ihre Verzweiflung in der Niederlage. Ronaldo, Messi, Schweinsteiger, Podolski … Immer wieder sehe ich ihre Gesten des Triumphs. Das ist der Kern dieser Sucht – die Angst vor dem Spiel und die Erlösung, wenn du gesiegt hast. Ich muss ihnen nur in die Gesichter schauen, ihre Konzentration, das Vibrieren ihrer Muskeln und ihre Emotionen spüren, und ich weiß, dass sie meine Sucht teilen. Es ist eine gefährliche Sucht.
    # # # 19.11.2011, 2:30 Uhr # # #
    »Fußball ist ein Geschäft, das Menschen verbrennt. Jeder darf einen Fehler machen – nur du nicht, Babak.« Wie ein endloser Fluch kreisen die Worte meines Schiedsrichterchefs in dieser Nacht durch meinen Kopf. Wieder und immer wieder brennt die Warnung wie eine Zündschnur über meine Haut. Legt Feuer in meine Seele und lässt mich vor Schmerz erschauern. Ich spüre, dass der Fluch Wahrheit wird, dass ich tatsächlich dabei bin zu verbrennen. Es ist halb drei Uhr morgens und ich stehe am Fenster meines Hotelzimmers und sehe in der Dunkelheit die Silhouette des Kölner Doms. Links davon der Rohbau eines Hochhauses, der wie ein schwarzer Obelisk in den Himmel sticht, umflort von den blinkenden Warnleuchten der Baukräne. Ich kann nicht schlafen. Ich bin erschöpft und doch hellwach. Ich habe Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben panische, körperlich zermürbende Angst. Angst vor dem Spiel, das ich am Nachmittag um 15:30 Uhr anpfeifen soll. Die Angst kommt in Wellen, überschwemmt mich und droht mich zu ersticken. So ist das, wenn sich einem die Kehle zuschnürt.
    Mir
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