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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Vater zu seiner Zustimmung zu überreden, zweimal erschien Franz Höllerer, um mit Ernst Bergmann zu sprechen. Zweimal flog er aus der Wohnung, angebrüllt mit der von Zwerchfellatmung unterstützten Stimme des Feldwebels a.D. »Nie!« schrie Bergmann außer sich und klopfte mit den Fäusten auf den Tisch. »Ein Fernfahrer! Kann er überhaupt schreiben? Los, hol ihn ran, ich werde ihm diktieren. Er wird Thron ohne h schreiben und Nil mit ie! Und Boot oder Pfirsich oder gar Chrysanthemen … los, bring ihn her! Ich will dir beweisen, was du heiratest! Meine Tochter! Einen Akademiker bist du wert!«
    »Ob Franz Chrysanthemen schreiben kann oder nicht, ist mir egal!« rief Julia. Zum erstenmal lehnte sie sich offen gegen ihren Vater auf. Sie hatte die Fäuste geballt, ihr schmales Gesicht war gerötet. In ihrem Leib zuckte das Kind, eingeschnürt in einen Panzer aus Nylon und Gummi. »Er kann arbeiten, ist ein anständiger Mensch, er wird alles für uns tun, wir werden Kinder haben –«
    Ernst Bergmann legte den Kopf schief und starrte seine Tochter an. »Kinder! Müßt ihr etwa heiraten?«
    »Nein. Wie kommst du darauf, Vater?« stammelte Julia.
    »Das wäre das letzte!« Ernst Bergmann riß sich den Schlips herunter. Nach langer Zeit hatte er jetzt Appetit auf ein Glas Alkohol, auf ein Bier oder gar einen Kognak. »Ich würde dem Kerl den Hals umdrehen. Jawohl, das täte ich! Ganz gleich, was nachher folgt! Wenn er dir und mir das antäte – es wäre das Ende unserer Familie!«
    Julia schwieg. Da war es wieder, die Drohung, die jede Wahrheit unterdrückte. Angst schnürte ihr die Kehle zu, sie wandte sich ab und wollte in ihr Zimmer gehen. Ernst Bergmann setzte sich schwer hinter den Wohnzimmertisch.
    »Haben wir Bier im Haus?«
    »Nein, Vater.«
    »Dann hol mir eine Flasche, Julia.« Er sah auf, seine Augen waren friedlich geworden, ja, sie bettelten fast. »Warum muß das alles so sein, mein Mädchen? Du bist doch mein einziges Kind, du weißt doch, wie lieb ich dich habe. Warum muß in letzter Zeit immer der Streit sein?! Immer wegen dieses Höllerers. Laß ihn laufen, Julia. Sag ihm, daß es keinen Sinn hat zwischen euch. Laß uns wieder so sein wie früher. War es nicht gemütlich bei uns, mein Kind?«
    »Ja, Vater.« Julia nickte. Sie bezwang sich, nicht aufzuschreien. »Ich … ich werde es ihm sagen, Vater –«
    »Das ist gut, mein Kind. Jeder macht im Leben einmal einen Irrtum. Dann muß man stark genug sein, ihn einzusehen und die Folgen zu tragen. So, und jetzt die Flasche Bier. Bring zwei mit! Für dich auch eine, Julia –«
    Niemand hatte von diesem Tage ab den Mut, dem alten Bergmann die Wahrheit zu sagen. Der Juni verstrich, Julia weigerte sich, heimlich zu heiraten, aus Angst, der Vater könne in seinem Jähzorn Unbedachtes tun und die Tragödie nur noch vergrößern. So sehr Franz Höllerer ihr zuredete, sie blieb dabei, abzuwarten.
    »Was denn abwarten?« rief Franz verzweifelt. »In drei Monaten kommt das Kind! Das kannst du doch nicht aufhalten! Oder willst du etwa … Julia … mein Gott! Tu es nicht! Ich flehe dich an!«
    »Nein.« Julia schüttelte müde den Kopf. »Ich bringe es zur Welt. Zu Hause! Bei meinem Vater. Ich habe mir das genau überlegt. Wenn es soweit ist, wenn er sieht, was geschieht, wird er anders handeln als jetzt. Ich kenne Vater. Dann wird er alles für mich tun. Bei meiner Geburt war er auch dabei, und das hat ihn maßlos erschüttert. Er wird alles vergessen, was er tun wollte, was er angedroht hat … er wird mir helfen und alles verzeihen –«
    So kam der Oktober. Ernst Bergmann war nicht in der Lage, seine großväterliche Güte zu beweisen – mit einer Lungenentzündung war er ins Krankenhaus geschafft worden. Er hatte sich die Erkrankung auf dem Holzplatz eines Sägewerkes geholt, wo er sich als gewissenhafter Steuerhelfer davon überzeugen wollte, wieviel Schwund beim Zersägen eines Stammes anfiel. Ihm war aufgefallen, daß die Differenz zwischen Rohstamm und Naturholzwert eine erhebliche war, und er unterschrieb keine Steuererklärung, die zu offensichtlich den Staat benachteiligte.
    An einem Dienstagmorgen gebar Julia Bergmann in ihrem Zimmer ein Mädchen. Niemand war bei ihr außer Franz Höllerer, den sie telefonisch von Firma Diederichs & Co. herbeigerufen hatte. Seit einer Woche ließ er sich im Lager beschäftigen, um immer erreichbar zu sein.
    Franz Höllerer hatte im Rahmen des Werkschutzes beim Roten Kreuz eine Schnellausbildung als Sanitäter
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