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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Neu-Delhi, London und Paris studiert, in Paris sein Examen mit Auszeichnung gemacht und volontierte nun in Deutschland, um auch die deutsche Medizin kennenzulernen. Sein Fehler war, daß er, in Verkennung europäischer Gepflogenheiten, zu ehrlich war und das sagte, was er dachte. So etwas eckt immer an, vor allem, wenn die Hautfarbe nicht strahlend weiß, sondern milchkaffeebraun ist. Professor Karchow nannte ihn im vertrauten Kreise nur den ›Dschungelboy‹, der nach Europa gekommen sei, um etwas anderes zu sehen als trompetende Elefanten oder heilige Kühe.
    Begonnen hatte es damit, daß Dr. Petschawar einmal sagte: »In Deutschland Medizin ist noch zurück. Krankenhaus in Lahore viel moderner!« Und ein anderes Mal: »Warum deutsche Studenten sitzen in überfüllten Sälen und hören nur Wissenschaft? Warum nicht wie in Amerika Studenten stehen am Krankenbett? Warum in Deutschland immer nur Theorie? Jahrelang Theorie? Man kann lernen nur in Praxis. Deutsches System von Studium ist falsches System. Zu alt –«
    »Das haben wir gern!« sagte Professor Karchow, als ihm, nach Kleinstadtmanier, diese Äußerungen sofort hinterbracht wurden. »Kommt aus dem Dschungel, wo die Wilden gegen die Bäume scheißen, und kritisiert unsere Alma mater und unser humanistisches Bildungssystem! Dem Jungen werde ich mal zeigen, was ein Arzt können muß!«
    Aber das war eine Fehlrechnung. Dr. Sandru Petschawar war ein vorzüglicher Arzt, der in London und Paris so viel gelernt hatte, daß Karchows Beschäftigungsrache ihn in keiner Weise aus der Ruhe brachte. Im Gegenteil – nach sechs Wochen steckte ihn Karchow auf die stille Infektionsstation, wo er Scharlach und Diphtherie beobachten konnte, weil der 2. Oberarzt sich beschwerte, Dr. Petschawar gewänne die Sympathie der Eltern durch eine unangebrachte Mehrleistung an Fürsorge.
    »Arbeiten können sie, die Dschungelboys«, sagte Karchow. »Aber ihre Hochnäsigkeit ist mir zuwider. Sie sollten stolz sein, in Deutschland studieren zu dürfen!«
    Da eine solche Ansicht allgemein an den deutschen Kliniken und Universitäten ist, besteht wenig Hoffnung, daß der Fortschritt auch im klassischen Land des Studiums Fuß faßt und den alten Zopf des deutschen Universitätswesens abschneidet.
    Besonders übel nahm es die Klinik ›Bethlehem‹ deshalb Dr. Sandru, daß er mit der freien Krankenschwester Karin Degen liebäugelte und sie öfter zum Theater oder ins Kino einlud. Karin spürte es an der deutlichen Mißachtung der anderen Schwestern, an der Spitze die Schwesternoberin, die einmal zu ihr sagte und ihrer Stimme dabei die Spitze einer Punktiernadel gab: »Schwester Karin, Sie sind heute reichlich müde! Ich denke, Sie studieren Krankenpflege und nicht indische Kultur –«
    An diesem Montag – es war Operationstag, darunter die Chefoperation einer Laparotomie zur Ausräumung eines Meckelschen Divertikels bei einem dreijährigen Knaben, Beginn 10 Uhr, Assistenzarzt OA Dr. Julius und Dr. Petschawar – flog die Kunde von Teeküche zu Teeküche, von der Klausur bis zum Sekretariat, daß Dr. Sandru beobachtet worden sei, wie er Schwester Karin Degen im Vorraum des WCs von Station IV geküßt habe. Ein Junge, der gerade aufs Klosett schlurfte, hatte sie überrascht und später in seinem Zimmer altklug erzählt: »Hört mal, die schicke Schwester Karin und der Sandru, die haben sich im Klo geknutscht. Das war knorke!«
    Der Junge war zwölf Jahre alt, und Schwester Laetitia rannte sofort zur Oberin, um zu klagen, daß es jetzt soweit sei, daß in einer Kinderklinik die Kinder sittlich gefährdet würden.
    »Auf dem Klosett! Wie geschmacklos!« sagte Professor Karchow, dem die Sekretärin die Schreckensmeldung überbrachte. »Waren die Klodeckel wenigstens runter?!«
    Es war eine jener typischen Äußerungen Karchows, die die Runde machten durch alle Hörsäle.
    Die Operation um 10 Uhr begann eine Viertelstunde später. Professor Karchow hatte Dr. Petschawar in dem Vorbereitungsraum festgehalten, während Dr. Julius, der Anästhesist Dr. Vögelein, die Instrumentenschwester und die OP-Schwester zusammen mit dem kranken Jungen, der bereits vollnarkotisiert auf dem Rollbett lag, in den OP gegangen waren.
    »Mein Lieber«, sagte Professor Karchow und betrachtete den großen, schlanken, hübschen, schwarzhaarigen Dr. Petschawar wie einen Gegenstand aus der Anatomie. Er ist ein schöner Mann, dachte er. Was sein muß, muß sein! Er hat einen sportlichen Körper, er hat die strahlende
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