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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Herr Professor! Ist Ihnen Ihre Klinik, Ihre Ruhe, Ihre Familie nicht lumpige 200 Mark monatlich wert? Überlegen Sie es sich doch bitte. –«
    Die Stimme Peter Kallenbachs hatte etwas Unterwürfiges, ja fast Trauriges an sich. Professor Karchow setzte sich wieder und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
    »Ich bin mir keiner Schuld bewußt!«
    »Aber wer glaubt es Ihnen? Ihre Unterschriften stehen unter den Todesursachen. Wer glaubt heute noch Beteuerungen?«
    Das war es, was auch Karchow mit erschreckender Deutlichkeit einsah. Niemand würde es ihm glauben. Hatte er Zeugen?
    Professor Karchow nickte schwer.
    »Kommen Sie morgen wieder, Herr Kallenbach«, sagte er wie erschöpft. »Morgen, um 3 Uhr nachmittags. Ich habe dann mehr Ruhe, mich mit Ihnen zu unterhalten.«
    Peter Kallenbach drückte den Hut gegen seine Brust und verbeugte sich. »Es freut mich, Herr Professor«, sagte er in seiner hündischen Art, »daß wir unser Leben in Ruhe beenden können. Sehen Sie, ich bin ein alter Mann, vom Leben betrogen, ich habe meine Frau und alle Kinder in Berlin beim Luftangriff verloren, ich bin vorzeitig Rentner geworden, das Herz, wissen Sie, total kaputt … ich habe immer im Dunklen gestanden, wie Brecht so schön sagt, man hat mich nie gesehen … Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Professor, wenn ich mir jetzt ein Bröckchen Zufriedenheit hole von dem, der diesen Abfall vom reichen Tisch des Lebens gar nicht spürt. Auf Wiedersehen bis morgen, Herr Professor.«
    Noch eine Verbeugung, devot und tief, dann war Peter Kallenbach gegangen.
    Professor Karchow saß eine ganze Weile stumm und starr hinter seinem Tisch und sah vor sich hin ins Leere.
    1946, dachte er, Kinderklinik ›Am blauen See‹. Eine Kommission aus Berlin. Vier Ärzte vom Gesundheitsamt.
    Sie obduzierten die Körper der Kinder. Die schreckliche Wahrheit, die nur ein Zufall gebracht hatte. Ein Zufall, der Peter Kallenbach hieß. Eine Wahrheit, die damals fast eine medizinische Sensation gewesen war.
    Doch wer glaubte ihm das alles, jetzt, nach fast zwanzig Jahren?
    Es war hoffnungslos.
    Professor Karchow griff zum Telefon und drückte auf den Knopf: Sekretariat.
    »Fräulein Mayer«, sagte er langsam, aber betont, »rufen Sie bitte Herrn Allach an. Jawohl, Staatsanwalt Dr. Heinz Allach. Ich möchte ihn dringend sprechen. –«
    Staatsanwalt Dr. Allach traf eine halbe Stunde nach dem Telefonat in der Klinik ›Bethlehem‹ ein. Er fand Professor Karchow in sehr erregtem Zustand vor, was er daran erkannte, daß Karchow wie versonnen in einem der Ledersessel hockte und vor sich hinstierte. Das war schon immer seine Art gewesen, die Rätsel aufgab. Dr. Allach kannte Karchow schon aus der Studikerzeit her, sie waren in der gleichen Verbindung, sie hatten zusammen auf dem Paukboden gestanden und versucht, sich die Schädel zu blessieren. Obwohl Allach zwei Köpfe größer als Karchow war, hatte er nie versucht, eine Terz oder Quart bei ihm anzubringen. So klein Karchow war, so wendig war er auch und vor allem von einer bewundernswerten ausdauernden Stärke. Oft hatte Allach seinen Freund erregt gesehen … aber dann tobte er nicht, sondern kroch in sich zusammen. Wenn Karchow laut wurde, war es weniger gefährlich … nur wußten das die wenigsten, am allerwenigsten die Assistenzärzte und Schwestern, die in der Klinik vor Karchow zitterten.
    »Kopf hoch, alter Junge!« sagte Dr. Allach, als er eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Wo brennt's denn?«
    Professor Karchow winkte zu einem der Sessel und sah seinen staatsanwaltlichen Freund aus melancholischen Augen an.
    »Ich werde erpreßt, Heinz«, sagte er rauh.
    Staatsanwalt Allach hob die Augenbrauen.
    »Oho!« Einen Augenblick überflog er das bisherige Leben Karchows. Nirgendwo war ein Ansatz, wo ein Erpresser den Hebel ansetzen konnte, der Karchow aus Ruhe und Ansehen hob. Das Leben Karchows war klar und zielbewußt, er war glücklich verheiratet, ohne Skandale und Liebschaften (unter Freunden kennt man die Seitensprünge), er hatte drei guterzogene, erwachsene Kinder, er hatte sich nie politisch festgelegt. »Was gibt es denn bei dir schon zu erpressen?« sprach er seine Bedenken aus. »Das ist doch lächerlich –«
    »Leider nicht –« Karchow zeigte wieder auf den Sessel. »Nimm Platz, Heinz.« Er hob den Kopf. Das Gesicht war fahlbleich. Dr. Allach erschrak ehrlich. »Willst du einen Kognak?«
    »Danke. Vielleicht hinterher.« Allach setzte sich. »Nun verlier nicht
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