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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unerträglich, ein so schönes Mädchen sich so abschleppen zu sehen. Werfen Sie den Baum hinten in den Wagen und klettern Sie zu mir!« rief er. Der junge Mann hatte ein offenes, ehrliches Gesicht, blonde, lockige Haare und schöne blaue Augen. Julia Bergmann zögerte etwas, aber dann überwand sie die Bedenken, lachte zurück und nickte.
    »Ich heiße Franz Höllerer«, sagte der junge Mann hinter dem großen Steuerrad, als Julia neben ihm auf den harten Kunstlederpolstern saß. »Sie haben mich wohl noch nie gesehen?«
    »Nein! Wo denn?« fragte Julia.
    »Kleine Leute übersieht man eben. Ich war dreimal in dem Café, wo Sie arbeiten. Einmal haben Sie mich sogar bedient. Königskuchen und ein Kännchen Kaffee. Ohne Sahne. Wegen der Linie.« Er lachte wieder, und es klang so jungenhaft und lebenslustig, daß Julias Herz einen Hüpfer tat. Sie wurde rot und nickte bloß.
    Vor dem elterlichen Haus Julias half ihr Franz Hellerer den Baum abladen, verabschiedete sich mit einer Verbeugung und winkte beim Abfahren aus dem Führerhaus zurück. »Auf Wiedersehen!« rief er durch das Geknatter des Motors, und Julia winkte zurück.
    Sie sahen sich wieder. Erst einmal, dann zweimal in der Woche. An einem freien Nachmittag fuhren sie hinaus zum Rodeln, tranken Grog und küßten sich zum erstenmal. Mitte Januar brachte Julia nach langem Zögern Franz Höllerer mit nach Hause. Trotz der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft wußten sie, daß sie sich liebten und daß es auf der Welt nur sie zwei geben würde, wenn sie glücklich sein wollten.
    Ernst Bergmann, der Vater Julias, war Buchhalter in einem Steuerhelferbüro. Der Umgang mit Zahlen und vor allem mit Kunden, die falsche Einkommensteuererklärungen abgaben und das als Ehrensache ansahen, hatte ihn mißtrauisch gegen jeden gemacht. Er sagte immer: »Das treueste Gesicht ist das schlimmste! Ich sehe es ja täglich. Man kann keinem Menschen trauen, nur sich selbst.«
    So lebte Ernst Bergmann auch. Er war seit sieben Jahren Witwer, hatte Julia großgezogen und sein Leben ganz auf das zweigleisige Familienleben abgestellt. Er trank sein Bier zu Hause und nicht an der Theke, er hatte keinen Stammtisch, keine Freunde, keine größeren Lebensinteressen als gutes Essen und Ruhe nach dem Essen, er sah im Fernsehen die Tagesschau an und spielte auf dem Plattenspieler preußische Märsche, denn er war einmal Feldwebel gewesen, bei der Infanterie, der Königin der Waffen, wie er immer sagte. Das war eigentlich, bis auf Heirat, Geburt Julias und Tod seiner Frau, das größte Erlebnis seines Daseins gewesen: Vor einer Gruppe Soldaten stehen und zu schreien: »Das Geweeehr – über! Augen – rechts! Augen geeerade – aus! Geweeehr – ab! Rührt euch!« Und dann der Krieg! Polen, Frankreich, Griechenland, Rußland. Immer vorneweg. EK II und EK I, silberne Nahkampfspange, zweimal verwundet, nicht schwer, aber genug, um davon zu sprechen. Das war in der Jugend. Nun war er fünfundvierzig, behäbiger geworden, trug eine Brille, rechnete die frisierten Bilanzen durch, machte Steuererklärungen, vor denen er sich im geheimen schämte (er war ja ein guter Preuße und hatte jahrelang dem Staat treu gedient), strich am Letzten des Monats sein Gehalt ein und hatte nur einen einzigen verwegenen Traum: Julia wird einmal besser heiraten. Sie arbeitet in einem Café. Dort wird sie Gelegenheit haben, gute Bekanntschaften zu schließen.
    Für Ernst Bergmann bedeutete deshalb der Besuch Frank Höllerers eine einschneidende Tatsache in seinem Leben. Julia stellte einen Mann vor. Das einzige Licht seines Lebens sollte weggetragen werden. Er war bereit, darum zu kämpfen, wenn der Eindringling nicht seinen Vorstellungen entsprach.
    Das aber war der Fall, als Julia ihm sagte: »Franz ist Fernfahrer«, hatte Ernst Bergmann erst einmal nach Atem gerungen, hatte einen Schluck Bier getrunken und sich mit zitternden Händen über die Haare gestrichen.
    »Was ist er?« hatte er zurückgefragt.
    »Fernfahrer bei Diederichs & Co. Er fährt einen Fünftonner. Kreuz und quer durch Deutschland. Morgen kommt er von Hamburg mit einer Ladung Fässer voller Salzheringe.«
    »Salzheringe!« Ernst Bergmann starrte seine Tochter wie eine geisterhafte Erscheinung an. »Bist du noch bei Sinnen, Julia?!«
    »Ja und nein, Paps. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn! Ich liebe ihn!«
    »Salzheringe!«
    »Nein, Franz!«
    »Laß die dummen Witze, Julia!« schrie Bergmann. »Welche Ausbildung hat er? Einen Führerschein kann jeder machen, das
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