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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns
Autoren: David Jimenez
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warten, und ihn sagen zu hören, als wäre es das erste Mal:
»
Welcome, Mister David

    So viel Mut und Willenskraft wie bei Veasna findet man wohl nur in Ländern, wo einem nichts geschenkt wird. Als junger Bursche fuhr er sieben Jahre lang eine Rikscha wie die von Kong Thai und sparte nach und nach das Geld für ein Moped zusammen, mit dem er Kunden von einer Ecke der Stadt in die andere fuhr, bis er ein Darlehen für den Kauf eines Autos bekam und Taxifahrer wurde. Seine 15-stündigen Arbeitstage hinderten ihn nicht daran, einen Teil seines Verdienstes in einen Englischkurs zu investieren, eine Sprache, die er heute besser spricht als manch einer der Ausländer, die zu Trinkgelagen nach Phnom Penh kommen, und dann weiter Mandarin zu lernen, weil die Zukunft, wie er schon damals sagte, in den chinesischen Touristen liege, die in diesen Tagen in alle Welt ausschwärmen.
    An dem Tag, an dem Veasna Svay Pak erwähnte, rief er mich im Hotel an, um mir mitzuteilen, dass er sich verspäten würde. Ein Kunde habe sich zu lange im »Hühnerhof« aufgehalten.
    »Arbeitet er in der Geflügelhaltung?«, fragte ich.
    »Ach was«, lachte Veasna. »Hühner, Mädchen, du weißt schon!«
    Am folgenden Tag fuhren wir die elf Kilometer bis Svay Pak. Am Eingang hing ein großes Schild, das Kunden in acht verschiedenen Sprachen willkommen hieß: »Wir lieben sicheren Sex. Bitte benutzen Sie ein Kondom.« Alle Baracken der Siedlung waren ausnahmslos in Bordelle umgewandelt. Als wir die Straße hinunterliefen, |34| öffneten sich zu beiden Seiten die Schiebetüren von einstmals privaten Hütten oder Geschäften und gaben den Blick auf junge, mit Lippenstift angemalte, in aufreizende Kleider aus Kunstlack und Kunstleder gekleidete Frauen und als Frauen verkleidete Mädchen frei, die sich in den Hüften wiegten und den Besuchern den einzigen englischen Satz zuriefen, den sie kannten:
»
Ey, Mister, Mister, short time? Have fun?«
    Svay Pak war damals der einzige Ort Kambodschas, an dem die brutalen sozialen Unterschiede des Landes nicht spürbar wurden. Reiche und arme Männer, Ausländer und Einheimische, Hübsche und Hässliche, Große und Kleine, sie alle teilten dieselben dunklen Zimmer, verhandelten mit denselben Zuhältern und verfolgten mit der gleichen Unruhe das Defilee der Mädchen, bis jeder diejenige ausgewählt hatte, die ihm am besten gefiel. Die Zuhälter setzten den Preis je nach Kunden fest und gaben sich genauso mit den drei Dollar zufrieden, die jemand wie Kong Thai für eine »Alte« von 22 Jahren berappen konnte, wie mit den 500 Dollar, die sie von Europäern und Amerikanern mit Sonderwünschen forderten, ein
wirklich
jungfräuliches Mädchen zum Beispiel, nicht etwa eine von diesen armen Jugendlichen, denen man das Jungfernhäutchen wieder zugenäht hatte.
    Kambodscha hatte sich in ein Land verwandelt, wo die Verkommenheit passabel geworden war, einfach deshalb, weil einen niemand daran hinderte. Phnom Penh hatte sich mit entflohenen Kriminellen, Schlägern, Zuhältern, Söldnern und Familienvätern in voller Midlife-Crisis verwandelt, die der unwiderstehliche Drang hierher getrieben hatte, sich dort zu verkriechen, wo ihnen niemand ihre Mittelmäßigkeit vorwerfen konnte. Zerstörte Länder sind eine perfekte Therapie. In den Restaurants wird man wie ein Premierminister behandelt, weil man weiß ist, und spektakuläre Mädchen, die einen daheim keines Blickes würdigen würden, lächeln einen auf offener Straße an. Mag sein, dass es für die Einheimischen ein Inferno ist, für dich ist es das Paradies. Die Perverslinge dieser Welt hatten ihren Vergnügungspark gefunden.
    |35| In Svay Pak nannte man diesen Vergnügungspark »Sexland«, weil in seinen Bordellen keine Perversion unmöglich war und sich niemand um die Gesetze scheren musste: die Polizisten, Beamten und Politiker wollten selbst zum Zug kommen. Dann gab es »Disneywar«, ein von kambodschanischen Soldaten neben dem Flughafen eingerichteter Schießplatz, auf dem man für eine Handvoll Dollar eine Granate werfen oder mit einer AK-47 eine Kuh niedermähen konnte. Und das alles spielte in »Marihuanaland«, wo der Stoff so leicht zu haben war, dass die guten Sophol und Vi, ein lustiges kambodschanisches Pärchen, am Fluss das Restaurant Happy Herbs Pizza betrieben, wo bis heute Pizzas serviert werden, die »happy« oder »very happy« machen, je nach der Menge des im Teig verarbeiteten Marihuanas.
    »Die Kunden kommen immer wieder«, sagte mir Sophol
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