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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns
Autoren: David Jimenez
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anders waren als sie, waren von so weit angereist, um ohne Gegenleistung ihrem gemarterten Land zu helfen.
Uns?
    Zum Ersten, was die ausländischen Truppen bei ihrem Einzug in das Land unternahmen, gehörte die Einrichtung von Bordellen zur Versorgung der Kasernen. Sie wurden mit jungen Frauen aus den Armenvierteln der Stadt gefüllt, die in den Dollars der Soldaten die Chance sahen, ihre Familien aus dem Elend zu retten. Nach und |29| nach wurde das Netz der Bordelle für die UNTAC-Soldaten ausgeweitet. Jedes Kontingent wollte sein eigenes – es gab Teilnehmer aus über dreißig Ländern, von Kamerun über Neuseeland und Bulgarien bis hin zu den USA –, und es war nur kameradschaftlich, die Soldaten eines befreundeten Landes zur Verkostung ins eigene Bordell einzuladen. Die Soldaten, Polizisten und UN-Angestellten nutzten die Straflosigkeit, die man ihnen geschenkt hatte, um sich zu betrinken, in den Bars zu randalieren, in Tempel zu urinieren und Kambodschaner zu misshandeln. Es gab auch solche, die mit der Absicht ins Land gekommen waren, zu helfen, doch sie konnten nicht verhindern, dass sich die Mission in einen Zirkus verwandelte. Alle wollten sich vergnügen, und wer das vorhatte, ohne sich vor irgendjemand verantworten oder die Konsequenzen tragen zu müssen, konnte keinen besseren Ort finden.
    Das Gerücht von der Ankunft der ausländischen Dollars machte unter den Verzweifelten schnell die Runde. Bald klopften Familien an die Tore der Militärstützpunkte, um ihre Töchter feilzubieten. Wenn man nichts Wertvolles mehr anzubieten hat, wenn einem nur noch die Würde bleibt, hat auch diese ihren Preis. Ich erinnere mich an eine Mutter mit ihrer Tochter an der Hand, die mir auf meiner ersten Kambodschareise auf der Straße in Phnom Penh begegnete. Das Mädchen dürfte nicht älter als zwölf gewesen sein.
    »Zehn Dollar«, sprach sie mich an, während das Mädchen den Kopf senkte.
    Ich dachte, dass sie um Almosen bettelte, doch da entblößte die Mutter mitten auf der Straße die noch unreifen Brüste des Mädchens und insistierte: »Zehn Dollar, Mister, und sie gehört Ihnen.«
    Die nach Kambodscha entsandten UN-Truppen führten nur fort, was die Amerikaner während des Vietnamkriegs in der thailändischen Stadt Pattaya begonnen hatten, als sie diese in einen Truppenkurort verwandelten: die nunmehr schon traditionelle Verbindung zwischen der massiven südostasiatischen Prostitution und dem Testosteron der Soldaten. Natürlich hatte es an all diesen Orten immer schon Prostitution gegeben, aber die Soldaten |30| legten die Grundlage dafür, dass sie sich in eine auf kommerzieller Ausbeutung fußende Industrie verwandelte, in die immer mehr junge Frauen gezogen wurden. Dieses Erbe blieb lange, nachdem die Soldaten ihre Rucksäcke gepackt und auf ihre Heimatstützpunkte zurückgekehrt waren, erhalten. Die Industrie ist so stark gewachsen, dass sie heute einen stetigen Strom frischer Mädchen braucht, um ein Geschäft zu versorgen, in dem junge Frauen von 22 Jahren als »alt« gelten, vom Markt genommen und durch jüngere ersetzt werden. Mit den Jahren habe ich Reise für Reise an den Türen einiger Diskotheken in Asien die Verjüngung der Ware verfolgt und erlebt, wie sich mir Mädchen, die mich gestern noch an der Tür eines Lokals angebettelt hatten, auf der Tanzfläche anboten.
    Ich erinnere mich besonders an Ngochien, ein taubstummes Mädchen, das an der Tür des Apocalypse Now, einer angesagten Disco in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem alten Saigon, Blumen verkaufte. Als ich sie zum ersten Mal sah, dürfte sie nicht älter als zehn gewesen sein. Immer trug sie Blumen in der Hand, und jedes Jahr war sie wieder ein bisschen gewachsen. Doch bei einem meiner letzten Besuche in der Stadt stand Ngochien nicht mehr am Eingang des Apocalypse Now. Stattdessen traf ich sie auf der Tanzfläche, gekleidet in einen Jeans-Minirock mit gelbem Oberteil. Sie hatte sich die Schulter tätowieren lassen. In einer Hand hielt sie eine Zigarette, in der anderen ein Bier. Ein Tourist packte sie an ihrer Wespentaille und zog sie an seinen Bierbauch. Das Blumenmädchen verkaufte nun stundenweise ihre schweigende Liebe an Kerle, mit denen es sich nicht unterhalten konnte und mit denen es auch nichts zu reden gab.
    Was die nach Kambodscha entsandten UN-Soldaten so besonders machte, war, dass ein bedeutender Teil der multinationalen Truppe, der sich in den Tropen vergnügen wollte, aus Soldaten afrikanischer Länder bestand, wo die HIV-Infektion
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