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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns
Autoren: David Jimenez
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wütete. Der Virus sprang auf die kambodschanischen Mädchen über, die an die Tore der Kasernen pochten, danach auf ihre Verlobten, und bald grassierte |31| er in ihren Dörfern. Tausende von jungen Frauen vom Land, die in die Stadt gefahren waren, um Geld zu verdienen, kehrten mit dem doppelten Geheimnis in ihre Dörfer zurück, einer Arbeit nachzugehen, die nicht darin bestand, Speisen und Getränke in einem Hotel zu servieren, und eine Krankheit in sich zu tragen, von der sie noch nie etwas gehört hatten.
    Für die jungen Mädchen war es keine Schande, sich stundenweise feilzubieten. Schlimmer wäre es gewesen, mit leeren Taschen heimzukehren und nicht die Schule der kleinen Brüder und die Arznei für die kranke Oma bezahlen zu können. In den Dörfern erkannte man an den mit Zement gebauten Häusern, die über erstaunliche Wasserspeicher und sogar Elektrizität verfügten, welche Tochter genug gespart hatte, ein Erfolgssymbol in den Augen neuer Generationen, die bereit waren, ebenfalls ihr Glück zu wagen.
    So blieb das Angebot garantiert.
    *
    Im Kinderhospital Kantha Bopha in Phnom Penh war der Arzt Beat Richner einer der Ersten, die 1993 entdeckten, wie rasant sich AIDS in der kambodschanischen Bevölkerung ausbreitete. Der Schweizer war zum ersten Mal 1974 als junger Mann in das Land gekommen, um freiwillig im Bopha-Krankenhaus zu arbeiten. Ein Jahr später, als die Roten Khmer an die Macht kamen, musste er fliehen. 1991 kehrte er zurück, fand das Krankenhaus in Ruinen und beschloss, dort zu bleiben, um es wiederaufzubauen. Der Doktor spielt in diesen Tagen am »Fluss der traurigen Erinnerungen« Cello, er gibt für alle Welt Konzerte, um Geld zu sammeln und damit kranke Kinder in den drei Krankenhäusern zu versorgen, die er mittlerweile in Kambodscha leitet. Die Welt, sagt Dr. Richner gern, hat sich in eine große Titanic verwandelt, in der »die Passagiere der dritten Klasse sehen, wie die Türen ihrer Kabinen verriegelt werden, damit sich die Passagiere der ersten retten können«.
    |32| Richner brachte die AIDS-Epidemie sofort mit den Soldaten in Verbindung und nahm Kontakt zur UNO auf, um sie darauf aufmerksam zu machen. Er bat bei mehreren Gelegenheiten darum, den Soldaten die Verwendung von Kondomen vorzuschreiben, und empfahl AIDS-Tests, um zu bestimmen, wer den Virus in sich trug. Der Missionschef, Yasushi Akashi, erwiderte, dass es hier um eine Frage des Amüsements gehe, was man verstehen müsse, die Jungs befänden sich fern der Heimat und hätten ein Anrecht darauf, sich ab und zu etwas zu gönnen:
»
Boys will be boys«, war seine Antwort.
    1991, bevor die internationalen Truppen in der bis dahin größten und teuersten UN-Mission ins Land kamen, hatten die Gesundheitsbehörden Kambodschas einen einzigen AIDS-Fall im gesamten Land entdeckt. Bevor sich das Jahrzehnt dem Ende neigte, waren vier Prozent der Bevölkerung infiziert, es steckten sich jeden Tag 200 weitere mit der Krankheit an. Das Land hatte die schwerste AIDS-Epidemie des gesamten asiatischen Kontinents. 25 000 junge Frauen boten ihre Dienste in den Animierlokalen der Hauptstadt an – die Mehrzahl von ihnen minderjährig. Seither sind die Soldaten längst abgerückt. Die Touristen, vor allem aber die Einheimischen, die entgegen der herrschenden Meinung einen Großteil der Sexindustrie in Südostasien aufrechterhalten, sprangen als neue Freier in die Bresche.
    So blieb auch die Nachfrage garantiert.
    *
    Der Verrat an Vothys Zukunft – die Tatsache, dass sie im Russenhospital in Phnom Penh gelandet war –, verdankte sich einer Kette von Ereignissen, die in den Büros skrupelloser Politiker ihren Anfang nahm. Diese Kette setzte sich fort über jene, die das Vertrauen des kambodschanischen Volkes gewonnen hatten, um eine Hilfsmission durchzuführen, die in diesem mit Unglück gestraften Land ein neues Erbe des Todes hinterließ, bis hin zu jenem Mann, |33| ihrem eigenen Vater, der nach seinem Arbeitstag als Rikschafahrer zu den Bordellen von Svay Pak hinausfuhr.
    Der Erste, der mir von Svay Pak erzählte, war Veasna, mein unzertrennlicher Fremdenführer in Kambodscha, seit ich ihn 1998 vor dem Hotel Princess in Phnom Penh kennen gelernt hatte. Heute, nach all der Zeit, kann ich mir den Flughafen von Phnom Penh nicht vorstellen, ohne ihn vor mir zu sehen, wie er sich mit einem Lächeln den Weg durch die Menge bahnt, die sich aus Neugier oder Mangel an einem besseren Zeitvertreib am Haupteingang eingefunden hat, ohne auf jemand zu
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