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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns
Autoren: David Jimenez
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und erkennt es, sobald der Regen zurückkehrt, nicht wieder. Es ist ein anderes geworden. Jedes Jahr wiederholt sich der Zauber der Jahreszeiten, östlich von Sues, wo die Tage früher beginnen und nach dem Ratschluss des Himmelsgottes manche Träume in Erfüllung gehen, während andere auf die nächste Regenzeit warten müssen.
    Der Monsun ist alles in Asien. Er wird sehnlich erwartet und gefürchtet, er spendet Leben und nimmt es. Er kann rechtzeitig kommen, um eine Armeeoffensive im birmanischen Dschungel zu stoppen, oder, wenn er sich verspätet, in Indien Millionen von Menschen auf dem Land in den Hunger stürzen. Ein Rikschafahrer in Dhaka sagte mir einmal, dass der Vertreter von Bangladesch wohl geschlafen haben musste, als die Erde unter den Völkern aufgeteilt wurde. »Wir haben nur den Rest abgekriegt«, klagte er, frustriert |16| von einem Land, dass derart von Niederschlägen gegeißelt wird, dass die Wassermassen nicht selten ein Drittel des Landes überschwemmen und Grenzen ausradieren, die nicht immer da waren. Das bereitet den Soldaten, die den Auftrag haben das Vaterland zu verteidigen, Probleme, denn sie wissen nicht genau, wo ihr Territorium anfängt und aufhört, da die Linie, die es vom Nachbarland trennt, unter Wasser liegt. So kommt es gelegentlich vor, dass sie ein Boot mit Soldaten der anderen Seite, die nichts anderes im Sinn haben, als sich über Wasser zu halten, mit einer feindlichen Invasion verwechseln. Befinden sie sich auf dieser oder auf der anderen Seite? Sollen wir ihnen nun helfen oder auf sie schießen?
    Der Magie der Jahreszeiten gelingt ihr unglaublichstes Kunststück beim Mekong. Der »Fluss der traurigen Erinnerungen« entspringt in Tibet, wo die Hirten glauben, dass ein mächtiger Drache über seine Quelle wacht und sein ewiges Fließen garantiert, weil das Wasser das Blut in den Venen der Völker ist, die an seinen Ufern leben. Ohne seinen beständigen Fluss ist das Leben nicht möglich. Nachdem er China hinter sich gelassen hat, trübt sich seine Farbe im Herzen Südostasiens ein, vielleicht um den Verrat an seinen Anrainern, die Sünde des Kolonialismus und die unbegreiflichen Kriege zu verhüllen, die ihren Völkern so schwere Wunden geschlagen haben. Danach schlängelt sich der Mekong an den Grenzen Birmas und Thailands entlang durch Täler und Regenwald und durchquert Laos und Kambodscha, bevor er, voller Leben, in Vietnam stirbt.
    Der Tonle Sap, einer der Zuflüsse des Mekongs, fließt in Kambodscha außerhalb der Regenzeit Richtung Südosten, doch wenn der Monsun kommt, kehrt sich mit dem plötzlichen Anstieg des Wasserpegels seine Flussrichtung um, und nun versorgt der Tonle Sap den gleichnamigen See im Norden. Es ist der einzige Fluss der Welt, der seine Flussrichtung wechselt. Erst wenn die Monsunregenfälle aufhören, strömt er wieder in seine natürliche Richtung auf das Südchinesische Meer zu. Das Wunder des Richtungswechsels des Mekong wird im ganzen Land mit einem großen Fest und |17| Feuerwerken begangen. Es ist auch der Beginn der Hochzeitssaison.
    Die Heiratsvermittler nutzen den jahreszeitlichen Aufruhr der Herzen und ziehen über die Dörfer, um gegen eine kleine Gebühr Paare zu verkuppeln und Hochzeiten zu arrangieren, wobei sie stets die Verpflichtungen zwischen Familien und die Zahl der Reissäcke zu berücksichtigen haben, die ein Bewerber auf den Tisch legen kann. Die Alten versichern, dass es von jeher so war und man die alten Sitten achten muss. Doch die einzige Sitte, die in den kambodschanischen Dörfern niemals stirbt, ist die Armut, die aus der Liebe ein kostbares Gut macht – das einzige. Ein Narr, wer sie verschenken wollte.
    *
    Kong Thai und Touh Sokgan verstießen gegen die Regeln und schenkten sich ihre Liebe. Er war von schwächlicher Statur, hatte ein vom Tabak fleckiges Gebiss, ranziges Haar und eine Frau und vier Kinder aus einem gescheiterten Vorleben. Seine besten Jahre hatte er auf den Reisfeldern gelassen; sie würden nicht wiederkehren. Sie, die umworbenste junge Frau ihres Dorfes, war von der tropischen Sonne gebräunt, hatte hohe Wangenknochen, baumwollzarte Lippen und ebenholzfarbenes Haar. Sie war dazu bestimmt, einen Mann zu heiraten, der wenigstens ein Stück Land und ein halbes Dutzend Tiere besaß, doch sie wollte von den Vorhaltungen ihrer Familie nichts wissen: »Dieser Mann ist nicht koscher. Wenn du den heiratest, brauchst du nicht wiederzukommen. Nichts als Schande wird er über dich bringen!«
    Sokgan und Thai
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