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Killerwelle

Titel: Killerwelle
Autoren: Clive Cussler
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despotischen Dogen von Genua berichten, der Polo und den Schriftsteller, Rustichello, ins Gefängnis hatte einsperren lassen. Doch er entschied sich dagegen. »Man weiß nur wenig über den Mann, dem Marco Polo seine Geschichte diktierte, während sie ihre Strafe in einem Genueser Gefängnis absaßen, nachdem Polo nach der Schlacht von Curzola gefangen genommen worden war. Rustichello selbst war bereits vierzehn Jahre zuvor nach der entscheidenden Schlacht von Meloria inhaftiert worden, die den Beginn des Untergangs des Stadtstaates Pisa eingeleitet hatte.
    Rustichello war, wie man es heute beschreiben würde, ein Schmonzettenschreiber, der schon vor seiner Verhaftung einige Erfolge vorzuweisen hatte. Betrachten Sie ihn als eine Art männliche Jackie Collins seiner Epoche. Er wusste ganz genau, was die Fantasie seiner Leser anregte und was sie als zu fantastisch und unglaubwürdig ablehnten.
    Unter diesem Aspekt ist er für mich nicht nur derjenige, der Polos Geschichte zu Papier brachte, sondern gleichzeitig auch sein Lektor oder Redakteur, also jemand, der einige von Marco Polos kontroverseren Entdeckungen und Erkenntnissen auslassen konnte, damit das Manuskript dem Massengeschmack entgegenkam. Der mittelalterliche Adel – und das waren im Wesentlichen die Kreise, für die Schriftsteller in der damaligen Zeit ihre Werke verfassten – wollte nichts davon wissen, dass China ihm ebenbürtig war und ihn in vielen Fällen mit seinen Erfolgen auf den Gebieten der Medizin, der Ingenieurskunst, der Verwaltung und vor allem des Kriegswesens sogar noch bei weitem übertraf.«
    Cantor legte eine kurze Pause ein. Der Ausdruck auf den Mienen seiner Zuhörer reichte von Schläfrigkeit bis hin zu vollständigem Desinteresse. Solange sie Schutz vor dem eisigen Regen fanden, der sich auf die mittelenglische Stadt ergoss, war ihnen im Grunde völlig egal, was er erzählte. Er wünschte sich nur, er könnte den Mann im dunklen Anzug ein wenig besser sehen, doch der versteckte sich hinter einem ungewöhnlich großen Obdachlosen, der in ganz gerader Sitzhaltung eingeschlafen war.
    »Mit diesem Gedanken im Kopf – dass Rustichello sich während ihres langen Gefängnisaufenthalts Notizen machte, die später aus der Endfassung der Wunder der Welt herausgestrichen wurden, und dass diese Notizen einige der Auslassungen enthalten könnten, auf Grund derer spätere Gelehrte den Wert und die Bedeutung des gesamten Buches in Frage stellten – bin ich heute zu Ihnen gekommen.« Dieser Satz kam Cantor zwar selbst ziemlich umständlich und mühsam vor, aber er versuchte das Bild eines Gelehrten von sich zu vermitteln, und all seine Professoren in Oxford pflegten sich in solchen Bandwurmsätzen auszudrücken, die über ganze Buch- oder Manuskriptseiten reichten.
    »Ich denke«, fuhr er fort, »dass diese Notizen noch irgendwo auf der Welt existieren. Ich meine vor allem die Teile der Geschichte Marco Polos, die von der mittelalterlichen Zensur – und das war der Vatikan – nicht freigegeben wurden, weil sie bei der Leserschaft jener Zeit zu viele Zweifel geweckt hätten. Seit ich Christ Church verließ« – es hätte keinen Sinn zu erwähnen, dass er keine Abschlussprüfung abgelegt hatte –, »habe ich überall in Italien und in Frankreich nach Hinweisen auf ein solches Buch gesucht. Und endlich, vor einem halben Jahr, habe ich es dann, wie ich glaube, auch gefunden.«
    Hatte der Mann im dunklen Anzug bei dieser Nachricht in irgendeiner Weise auffällig reagiert? Cantor schien es so, als hätte der Schatten im hinteren Teil des Raums seine Position ein wenig verändert. Er kam sich wie ein Angler vor, der das erste Knabbern am Köder spürt. Nun musste er nur noch den Haken ins Ziel bringen, um seinen Fang zu sichern.
    »Ich erhielt Zugang zu den Verkaufslisten eines kleinen Buchantiquariats, das sich in einer winzigen Stadt in Italien befindet und seit 1884 existiert. Dort fand ich Aufzeichnungen über den Verkauf eines von Rustichellos bedeutenden Werken, Roman de Roi Artus, im Jahr 1908. Zu diesem Buch über die Artus-Sage gehörte ein Konvolut an losen Seiten.
    Zu jener Zeit bereisten Familien aus dem England Edwards VII. Italien, um ihren Wissenshorizont zu erweitern. Denken Sie nur an E. M. Forsters Roman Zimmer mit Aussicht. « Für die meisten hätte es wohl eher heißen müssen Ein Pappkarton mit Zellophanfenster, aber Cantor wusste, dass sein Vortrag eigentlich nur einem einzigen Zuhörer galt. »Wie jeder Tourist kehrten diese
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