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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel
Autoren: Michael Marshall
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haben.«
    Steph lag mit dem Kopf ans Fenster gelehnt unter der Decke, die ich über sie gebreitet hatte. Ihr Gesicht sah bleich und friedlich aus. Ich brauchte dennoch lange, bis ich begriff, dass Stephanie irgendwann in den letzten Stunden gestorben war.
     
    Sie liegt in der Nähe meiner Behausung im Wald begraben. Ihre Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben, ihr Vater nie zurückgekehrt. Ich bin der Einzige, dem ihr Tod etwas bedeutet. Die Welt registriert es, wenn du sie verlässt, und wendet sich schnell wieder den anderen Gästen an der Bar zu, bestellt eine weitere Runde.
    Ich bleibe in Bewegung. Ich habe eine Hütte, doch ich bin oft lange fort. Ich wandere jeweils tagelang, ziehe weite Kreise auf unvorhersehbaren Routen. Eine Weile bleibe ich in der Nähe eines Städtchens in den Bergen, ungefähr dreißig Meilen entfernt, und wandere dann in die entgegengesetzte Richtung woanders hin. Ich kehre mal hier, mal dort ein, doch ich komme immer wieder zurück. Ich lasse sie nie lange allein.
    Ich hab mir einen Bart wachsen lassen, und mein Haar ist verfilzt. Bei einer Schlägerei vor einer Bar wurde mir die Nase gebrochen, ich sehe also nicht mehr genauso aus wie früher. Vorerst hat das zu genügen.
     
    Ich habe Internet-Cafés und Büchereien besucht, um die Vorgänge in Florida zu verfolgen. Eine Zeitlang schafften sie es in die landesweiten Medien, doch es ist sehr aufschlussreich, wie kurzlebig der Nachrichtenzyklus ist. Es gibt immer etwas anderes, die nächste Zirkusnummer, die uns daran hindert, bei irgendeiner Show allzu genau hinzusehen. Ein Krieg hier, der Tod eines Prominenten da, eine Rezession, eine Krise, etwas, das kurz aufleuchtet und verlischt. So schnell, dass man eigentlich misstrauisch werden müsste.
    Marie Thompson überlebte ihre Verletzungen. Der Tod ihres Mannes und der von Hazel Wilkins wurden wahrheitsgemäß John Hunter zugeschrieben – »verbitterter früherer Anwohner und verurteilter Mörder«. Tony wurde von vielen betrauert und weithin als eine der letzten großen Persönlichkeiten der Boomjahre in Florida gewürdigt. Über Hazel wurde weniger berichtet, schließlich war sie nur eine x-beliebige alte Frau.
    Was es mit dem Tod von Deputy Rob Hallam, Karren White, David Warner und Emily Griffith auf sich hat, bleibt unaufgeklärt. Da man die Leichen, mit Ausnahme von Warners, alle im Haus eines Ehepaars fand, das spurlos verschwunden war, schwankte die Presse einen Tag lang genüsslich zwischen der Vermutung, dass Mr. und Mrs. William Moore ebenfalls zu den Opfern zählten, oder – beflügelt von Indizien zum Kauf einer Pistole, die als Mordwaffe gedient hatte – selbst die Täter waren. Kaum machte jedoch der Mist auf meiner Facebook-Seite die Runde, reihte sich Steph rasch in die Liste meiner – mutmaßlichen – Opfer ein, und ich stand plötzlich im Rampenlicht. Dabei wurde David Warner als eine Art schattenhafter Mentor gehandelt, der mir irgendwann nicht mehr nützlich war und in der Wohnung eines meiner anderen Opfer, von dem ich besessen gewesen war, ein grausiges Ende gefunden hatte.
    Die Presse war viel zu aufgeregt, um in der ganzen Geschichte nach Ungereimtheiten zu suchen, und interessierte sich mehr für das Phänomen, dass ich der erste Irre war, der sich auf einem sozialen Netzwerk-Portal mehr oder weniger verrät. Offenbar hatten Warner und ich uns auf diesem Wege kennengelernt und uns anschließend in einer Spirale des Wahnsinns in unseren Obsessionen gegenseitig beflügelt, bis wir sie in der realen Welt auslebten. Bohrende Fragen wurden gestellt – etwa, inwieweit die User-Gemeinde die Pflicht hatte, ihre Mitglieder im Auge zu behalten; händeringend forderten Leitartikel, die Interaktionen ferner Menschen untereinander zu überwachen. Es war ein ganz großes Ding. In den Nachrichten hatte ich mein eigenes Logo.
    Dann verebbte die Geschichte allmählich, und inzwischen interessieren sich nur noch ein paar vereinzelte Verschwörungs-Websites dafür. Denen zufolge bin ich entweder tot oder noch am Leben, ein Verfemter, der vom Scheitern der Außenpolitik und/oder dem gestiegenen CO 2 -Ausstoß ablenken soll, hochrangiges Mitglied einer verborgenen Elite, ein echter Psychopath, aber mit übernatürlichen Fähigkeiten, oder aber ich habe nie wirklich existiert. Ich persönlich bevorzuge letztere Theorie. Für mich steckt ein Körnchen Wahrheit darin.
    Die Mordfälle bleiben offen, ebenso gehen die Spekulationen darüber weiter, welchem Zweck die
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