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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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seinen Ohren. Der Schmerz war so überwältigend, dass sein Griff sich lockerte. Die Waffe kam hoch, er packte wieder zu und verdrehte Rafiqs Arm. Ein vierter Schuss löste sich.
    Halb entwand er sich aus der Umklammerung und griff mit der freien Hand nach der Waffe. Seine Finger schlossen sich um den Lauf. Mit einem Ruck entriss er sie Rafiq. Sein Arm beschrieb einen Bogen und hämmerte den schweren Griff in Rafiqs Gesicht. Die Augen des anderen verloren den Fokus. Nikolaj konnte sehen, wie er darum kämpfte, bei Bewusstsein zu bleiben.
    Mit einem Ruck kam er hoch und taumelte zurück, bis er mit dem Rücken gegen einen Pfeiler stieß. Er richtete die Pistole auf Rafiq. Sein Körper schmerzte, seine Seite fühlte sich an wie mit Glasscherben gespickt. „Steh auf“, sagte er.
    Rafiq gehorchte. Dann stand er und starrte ihn an. Eine Flut widersprüchlicher Empfindungen spiegelte sich auf seinem Gesicht.
    „Was willst du?“, fragte Nikolaj.
    „Jedenfalls nicht das“, murmelte Rafiq, „was Katzenbaum wollte.“
    „Geht es um damals?“
    „Es ist ein Teil des Problems.“
    „Ich weiß nicht, ob es etwas ändert, aber die Israelis haben euch belogen. Ich habe es Carmen gesagt.“ Ein Schatten legte sich über Rafiqs Gesicht. Nikolaj senkte den Kopf. „Ich konnte mir nie vorstellen, dass wir uns einmal so gegenüber stehen würden.“
     
    *
     
    Carmen hatte es wieder und wieder durchgedacht. In Mlada Boleslav hatte sie Katzenbaum angerufen, und dann war ein Team von Killern aufgetaucht. Es gab nur eine einzige Erklärung. Sie durfte Katzenbaum nicht länger vertrauen. Kusowjenko war tot, aber zuvor hatte er die Namen noch preisgegeben. David Liberman und Shimon Cohen. Windgeräusche und statisches Knistern hatten die Übertragung gestört, aber die Namen hatte sie verstanden.
    Wie konnte sie sich schützen, jetzt wo sie davon wusste? Nikolaj war verschwunden, vielleicht sogar tot. Sie wusste nicht, wie sie Kontakt mit ihm aufnehmen konnte. Sie wollte ihn, und gleichzeitig hatte sie ihn verraten. Der Widerspruch schnürte ihr den Atem ab. Dass es ihr vor allem darum gegangen war, sein Leben zu retten, spielte keine Rolle. Sie hatte den Mann, den sie liebte, verraten. So einfach war das. Warum hatte sie es ihm nicht gesagt? Hätte das die Dinge geändert? Hätte er das Treffen mit Kusowjenko abgeblasen, wenn sie am Morgen in Dresden anders reagiert hätte? Aber da war sie so verstört gewesen, so überwältigt von dem Gefühlschaos in ihrem Kopf, dass ihre Fluchtinstinkte jede andere Regung überbrüllten. Dass Nikolaj an etwas ganz tief in ihrer Brust rührte, tiefer als selbst Rafiq es jemals gelungen war, das hatte sie erst in den letzten Sekunden begriffen, bevor die Funkverbindung zwischen ihnen abbrach. Der Gedanke, dass sie es ihm nun nicht mehr sagen konnte, trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Erschöpft rieb sie sich über die Lider. Sie musste sich konzentrieren. Durfte sich nicht von ihrer Traurigkeit ablenken lassen.
    Liberman und Cohen.
    Es war Lebensversicherung und eine Fahrkarte in die Hölle zugleich. Sie würden sie jagen, wenn sie erfuhren, dass sie davon wusste. Mein Gott, und wie sie sie jagen würden. Was, wenn Nikolaj getötet worden war? Wenn jemand das Mikrofon gefunden hatte? Aber sie konnten doch nicht wissen, dass Kusowjenko diese Namen genannt hatte, oder?
    Carmen stand auf und zog sich mit hastigen Bewegungen an.
    Natürlich wussten sie es. Oder vermuteten es wenigstens. Warum sonst hatten sie Kusowjenko erschossen? Weil sein Wissen einen Erdrutsch auslösen konnte. Er hatte mindestens fünf Minuten mit Nikolaj gesprochen, also mussten sie das Schlimmste annehmen. Und wenn sie die Ausrüstung bei Nikolajs Leiche fanden, wussten sie, dass jemand mitgehört hatte. Damit war sie wieder im Spiel.
    Was also waren ihre Optionen? Katzenbaum kam nicht in Frage. Er war eingeweiht, er gehörte zu Cohen. Da konnte sie genauso gut mit erhobenen Händen zur israelischen Botschaft gehen.
    Rafiq? Sie schwankte. Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass er sie verkaufen würde. Rafiq wollte sie immer noch zurück, das hatte er in Beirut deutlich gemacht. Aber sie wollte ihn nicht kontaktieren, sie wollte sich nicht in eine Situation bringen, in der sie seine Hilfe in Anspruch nahm und ihm später etwas schuldig war. Das war persönlich motiviert und unprofessionell, aber sie konnte es einfach nicht. Nicht nach allem, was zwischen ihr und Nikolaj geschehen war.
    Wer noch?
    Plötzlich
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