Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
kam ihr eine Idee, die so einfach war, dass sie es selbst kaum glauben konnte. Diese Leute wollten unbedingt ihr Geheimnis schützen. Aber was, wenn es kein Geheimnis mehr gab? Was, wenn sie die ganze Welt zu Mitwissern machte?
     
    „Oder geht’s dir um Carmen?“
    Rafiq antwortete nicht. Schweigend starrte er in die Mündung der Waffe.
    „Was war zwischen euch?“ Groll vibrierte in Nikolajs Kehle.
    „Ich liebe sie“, murmelte Rafiq. Er hob seinen Blick. Seine Stimme gewann an Substanz. „Und sie liebt mich. Ich lasse nicht zu, dass ihr etwas zustößt.“
    Der Groll vertiefte sich, fing Feuer, verwandelte sich in ziellose Wut. „Das“, knurrte Nikolaj, „kommt ein bisschen spät.“ Seine Finger verkrampften sich. Er verspürte den überwältigenden Wunsch, einfach abzudrücken. Ein Luftstrom baute sich auf, das Geräusch des sich nähernden Zuges. Etwas in seinem Inneren begann zu reißen. Dunkelheit strömte in die aufklaffende Lücke. „Warum hast du zugelassen, dass sie sie zu mir schicken?“
    Rafiq schüttelte unmerklich den Kopf.
    Nikolajs Stimme brach. „Warum habt ihr sie nicht von mir ferngehalten?“
    Die U-Bahn fuhr ein. Er warf einen schnellen Blick über die Schulter. Die Türen blieben geschlossen, niemand stieg aus. Erschöpft stieß er den Atem aus. Sein Zorn sank zusammen und verlor sich in froststarrer Leere. Er ließ die Waffe sinken. Kaum nahm er das Misstrauen wahr, das sich auf Rafiqs Antlitz malte. Er versuchte sich auf eine Erinnerung zu konzentrieren, eine kleine Bemerkung, die Rafiq während des Verhörs am Vorabend gemacht hatte. „Woher wusstet ihr überhaupt von dem Treffen?“
    Katzenbaum hatte ihm keine Antwort darauf gegeben. Er dachte, wie seltsam sich Carmen verhalten hatte, auf dem Parkplatz in Mlada Boleslav. Und später in diesem Café an der Museumsinsel. Sie hatte schuldbewusst gewirkt, beinahe ertappt, aber er hatte es für Nervosität gehalten. Es war ein Schuss ins Blaue. „Sie hat euch angerufen?“ Wie einfach das klang.
    Etwas zerbrach in ihm, als Rafiq nickte.
    „Wie lange?“
    „Was?“
    „Du und Carmen.“
    Rafiq lächelte verkniffen. „Acht Jahre.“
    „Und ist sie glücklich?“
    Er nickte erneut.
     
    *
     
    Der Name des Mannes war Peter Schöller.
    Carmen schrieb ihn ganz oben auf das Blatt Papier, direkt unter den Briefkopf des Hotels. Sie hatte seine Telefonnummer nicht, aber die konnte sie herausfinden. Sie konnte in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung anrufen, die würden sie sicher durchstellen. Möglicherweise erinnerte er sich nicht an sie. Sie hatten eine kurze Affäre miteinander gehabt, ein paar Wochen, nachdem sie Rafiq verlassen hatte. Aber das spielte keine Rolle. Peter schrieb Artikel für das Ressort Politik. Er würde sich brennend für das interessieren, was sie ihm zu erzählen hatte.
     
    *
     
    Nikolaj sicherte die Waffe und schob sie in seinen Hosenbund. „Ich werde jetzt gehen“, sagte er. „Und wenn du vernünftig bist, folgst du mir nicht.“
    „Was für eine Art Killer bist du eigentlich? Ich habe mich das schon in Zypern gefragt.“
    „Was meinst du?“
    „Du bist inkonsequent.“
    „Weil ich dich nicht getötet habe? Es gab keinen Grund.“ Er schwieg über den Knoten in seiner Kehle, die komplizierte Zusammenballung von verlorener Freundschaft und dunklem Groll, von Schuldgefühlen und Eifersucht, die wie Säure brannte. „Außerdem bin ich raus aus dem Geschäft.“
    „Aus diesem Geschäft steigt man nicht einfach so aus.“
    „Wer sagt das?“
    „Die Statistik. Was ist jetzt mit Carmen?“
    „Mein Gott“, er holte tief Atem, „vielleicht hätte ich sie wirklich erschießen sollen.“ Es war die kindische Regung, den anderen zu verletzen, ihm dieses verfluchte Lächeln vom Gesicht zu wischen, aber es versetzte ihm selbst einen Stich, als er es aussprach. Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Ich wollte sie bei diesem Treffen nicht dabei haben, also habe ich sie fortgeschickt. Sie ist in eins der Museen gegangen, so einfach ist das. Ich weiß nicht, wo sie jetzt steckt. Sie ist misstrauisch, kannst du das nicht verstehen? In Zypern haben israelische Einheiten versucht, sie zu töten. Was würdest du an ihrer Stelle tun?“
    Rafiq antwortete nicht.
    „Geh“, sagte Nikolaj müde. „Und lass mich meiner Wege ziehen.“

Epilog
     
     
    Salzburg | Österreich
     
    Der Tag war warm für Ende September. Die Baumkronen schimmerten in Gelb- und Rottönen und filterten die späten Sonnenstrahlen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher