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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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zurück, knöpfte seinen Mantel auf und tastete nach dem Verband unter der blutverkrusteten Wolle. Schmerz ließ ihn zusammenzucken, als er gegen die Wunde drückte. Das Fleisch fühlte sich hart und fiebrig an.
    Unvermittelt musste er an Anna denken. Er war sich sicher, dass die Kugel sie nur gestreift hatte. Ein Kratzer, der binnen Wochen verheilen würde. Trotzdem verspürte er Schuldgefühle. Es hätte nicht so enden dürfen. Am Telefon hatte Francesco ihn nicht nach ihr gefragt. Wahrscheinlich wusste er noch nichts von der Rolle, die seine Schwester bei dem Desaster gespielt hatte.
    Die Minuten krochen dahin wie dickflüssiges Blei. Er starrte hinaus in die Nacht und kämpfte mit dem Schlaf. Als es endlich Zeit war, ließ er den Motor wieder an und fuhr zurück in die Straße hinter den Gleisen. Er stellte den Ford gute hundert Meter von den Treppen entfernt ab. Das Taxi parkte noch immer vor der Telefonzelle.
    Zum zweiten Mal in dieser Nacht trat er in die Unterführung. Als er die andere Seite erreichte, stachen Scheinwerfer durch den Vorhang aus Schneeflocken. Ein Wagen rollte von der Kreuzung her auf ihn zu. Francescos Leute?
    Aus purem Instinkt fasste er nach der Pistole in der Manteltasche und schob mit dem Daumen die Sicherung zurück. Das Fahrzeug wurde langsamer und stoppte für eine Sekunde vor dem Gleisaufgang. Groß, dunkelblau, eckige Form. Ein Landrover Geländewagen. Der Schnee fiel inzwischen so dicht, dass Nikolaj kaum mehr Umrisse erkennen konnte. Mit der Hand an der Waffe löste er sich von der Wand und trat ins Freie.
    Fast lautlos kamen sie neben ihm zum Stehen. Die Beifahrerscheibe glitt nach unten. „Schöne Grüße von Francesco“, sagte ein Mann, dessen Gesicht er nicht kannte. „ Dawaj , steig ein.“ Er sprach russisch, ein Detail, das Nikolaj befremdete. Er hatte Francesco um Hilfe gebeten, nicht Viktor, und Francescos Leute waren Italiener.
    Mit der blutverschmierten Hand öffnete er die hintere Tür. Sie waren zu dritt. Fahrer, Beifahrer und ein weiterer Kerl auf dem Rücksitz. Warum zu dritt, um ihn aufzusammeln? Anspannung erfasste ihn, ein innerer Ruck. Adrenalin drängte das Gefühl knochentiefer Erschöpfung zurück. Alle Geräusche, alle Farben und Formen schienen an Schärfe zu gewinnen. Er erfasste das winzige Zucken in der Wange des Mannes. Die Hand, die auf dem Polster lag, doch nicht so entspannt, wie es zuerst den Anschein hatte. Die Bewegung im Schatten des Fußraums, wo sich die zweite verbarg. Den Lichtreflex auf stumpfem Metall.
    Er zog die eigene Waffe schon hoch, bevor sich ein bewusster Gedanke hinter seinen Schläfen formte. Der Schuss des anderen ging ins Leere, weil Nikolaj sich unvermittelt seitlich fortdrehte, den Rücken gegen das Blech gepresst. Zwei ... drei Kugeln schlugen in die gegenüberliegende Mauer, dann schwang er den Arm herum und feuerte blind ins Innere des Wagens. Er wusste nicht, ob er getroffen hatte, aber hörte Gebrüll und das Knirschen der Schaltung. Der Landrover schoss rückwärts, die offene Tür krachte ihm gegen die verletzte Schulter und riss ihn von den Füßen. Die Qual war überwältigend und ließ Übelkeit über ihn hinwegschwappten. Alles drehte sich. Er stieß gegen einen Abfallbehälter und dachte, dass er aufstehen musste, nur hoch und fort von hier. Viel zu langsam quälte er sich auf die Knie. Er drehte den Kopf und starrte direkt in die Scheinwerfer, die auf ihn zurasten. Geistesgegenwärtig warf er sich zur Seite, hinter den Mülleimer, der fest im Boden verankert war. Fest genug, um den Wagen aufzuhalten. Metall krachte auf Beton, ein trockener Knall. Etwas traf ihn an der Wange. Mit dem Rücken schob er sich an der Mauer hoch, nun beide Hände um den Griff der Pistole, und feuerte auf die Windschutzscheibe. Nach dem dritten Treffer zersplitterte das Glas. Der vierte erwischte den Fahrer, der versuchte, sich in Deckung zu ducken. Zu langsam.
    Der Beifahrer war nirgends zu sehen.
    Nikolaj ließ sich in die Knie sinken, hinter den Kühlergrill. Flocken verwirbelten im Scheinwerferstrahl. Er musste hier weg. Die Schüsse hatten mit Sicherheit die halbe Nachbarschaft geweckt. Wahrscheinlich rief der Taxifahrer in diesem Moment die Polizei.
    Er hob einen Stein auf und warf ihn in Richtung der Beifahrertür. Nichts geschah. Geduckt umrundete er den Kotflügel auf der anderen Seite. Die Fahrertür stand einen Spalt offen. Über seinem Kopf donnerte ein Zug in die betäubende Stille. Er zog die Tür ein Stück auf. Und dann
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