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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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Liebevoll strich er über die hölzernen Fenstergitter, ließ sich auf ein Knie nieder und schob das Regal unter dem Waschbecken beiseite. Eine der Fliesen saß locker in der Wand, dahinter verbarg sich ein Hohlraum. Er zog die Pappschachtel heraus, die er seit drei Jahren nicht mehr angerührt hatte. In Beirut gab es ein Schließfach mit ähnlichem Inhalt, ein weiteres in einer Bank in Neapel. Er hatte die Depots kurz vor dem Kauf dieses Hauses eingerichtet, für einen Notfall, von dem er hoffte, dass er nie eintreten würde.
    Die Schachtel hatte er beinahe verdrängt. Bis ihn für einen Lidschlag der Schrecken durchzuckt hatte, jemand könnte seine Spur gefunden haben. Jemand, der eine junge Frau schickte, um ihm eine Falle zu stellen.
    Er blätterte durch die Pässe, die sorgfältig in Klarsichthüllen verpackt waren, dazu passend Kreditkarten und Führerscheine. Jewgeni Nazyrow, Angestellter eines russischen Bauunternehmens. Giacomo Sebastiano, Zahnarzt aus Rom. Ahmed Abi-Hachem aus Beirut, Händler für Weine und edle Spirituosen. Und natürlich Nicolá Martin, Ex-Computerspezialist. Vier Identitäten für knapp sechstausend Dollar, zwei davon so gut, dass sie auch einer näheren Überprüfung standhalten würden. Unter den Pässen lagen viertausend Dollar und zweitausend Euro jeweils in Fünfzigern, sorgfältig gebündelt. Und darunter, am Boden der Schachtel, eine Beretta mit zwei Ersatzmagazinen.
    Nikolaj nahm die Waffe in die Hand und zog den Schlitten zurück. Das kühle Metall fühlte sich beruhigend an. Er stieß ein Magazin in den Griff, streckte probehalber den Arm aus und zielte über das Handgelenk. Dann, ohne sie zu entladen, legte er die Pistole zurück in die Kiste, schloss den Deckel und schob sie zurück in das Versteck. Er stand auf und zog den Untertisch zurück an seinen Platz. Kurz blickte er in den Spiegel und musterte sein Gesicht. Er hatte sich Bart und Haar wachsen lassen, um sein Aussehen dem der Einheimischen anzunähern. Einzig seine Augen verrieten die europäische Herkunft, denn sie waren von einem intensiven Grün. Das ließ sich mit gefärbten Kontaktlinsen kaschieren, das hatte er früher manchmal getan. Aber er vertrug die Linsen nicht gut, vor allem nicht über einen längeren Zeitraum. Deshalb hatte er als Nicolá Martin gar nicht erst damit angefangen. Im Pass war grün vermerkt, und wenn ihn jemand danach fragte, gab er das Erbteil seines französischstämmigen Großvaters an.
    Er hatte viel Sorgfalt auf Nicolás Geschichte verwendet. Der Lebenslauf war unspektakulär, aber nicht langweilig. Es gab keine nachprüfbaren Details. Das Einzige, was ihn mit seinem früheren Leben noch verband, war die Malerei. Und selbst hier malte nicht länger Nikolaj Fedorow, sondern Nicolá Martin, der versuchte, mit dem Pinsel die Heimat seiner Vorfahren einzufangen.
     
    *
     
    „Oh mein Gott, ich muss dir unbedingt was erzählen!“, platzte Azizah heraus, als Chiara durch die Tür trat. Draußen schlugen Autotüren, ein Motor sprang an, dazwischen Wortfetzen und Gelächter.
    „Du hast den Maler verführt und ihr habt den ganzen Tag in seinem Bett verbracht?“
    Azizah kicherte. „Du bist unmöglich.“
    „Habt ihr?“
    „Natürlich nicht. Es war ein sehr sittlicher Besuch.“
    „Wie langweilig.“ Chiara hob die Augenbrauen. „Was noch?“
    „Nico Delani. Sagt dir das was?“
    „Das sollte es vermutlich, wenn du so fragst?“
    „Nico Delani. Der Maler.“
    „Ach, jetzt weiß ich wieder.“ Chiara legte den Kopf schräg. „Erstes Semester. Die Ausstellungseröffnung mit den gefälschten Einladungen.“
    „Genau. Der Typ mit den Landschaftsmosaiken. Er war mal ziemlich angesagt, aber ist in der Versenkung verschwunden. Und jetzt habe ich ihn gefunden. Er behauptet, er wäre früher Programmierer gewesen und hätte seine Firma verkauft, aber das stimmt nicht.“
    Chiara legte das Handy auf die Anrichte. „Das scheint ja doch ein ziemlich interessanter Besuch gewesen zu sein.“
    „Er sagt, dass er die Malerei nur als Hobby betreibt und dass ihn Ausstellungen nicht interessieren, aber ich habe sein Atelier gesehen.“
    „Aha.“
    „Nur ganz kurz. Da stehen seine Bilder. Er hat sie mit Laken abgedeckt, aber ich habe darunter geschaut. Er ist es, ich schwöre es dir.“
    „Meine Güte, das ist aber ganz schön weit hergeholt.“ Chiara verdrehte die Augen. „Vielleicht kennt er diesen Delani und hat sich von ihm inspirieren lassen.“
    „Nein, ich bin mir absolut sicher.“
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