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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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Marseilles.“
    „Marseilles in Frankreich?“
    Er nickte.
    „Und jetzt haben Sie sich zur Ruhe gesetzt?“ Sie versuchte nicht, ihre Verwunderung zu verbergen. Der Mann war höchstens Ende Dreißig.
    „Ich würde es eher eine schöpferische Pause nennen.“
    „Jetzt reden Sie doch wieder wie ein Künstler.“
    „Wenn Sie meinen.“ Sein Arabisch war flüssig mit einem Beiruter Akzent. Er beugte sich vor, um ihr Tee nachzuschenken. Als er die Silberkanne zurück auf den Tisch stellte, glitt ihr Blick erneut über seinen vernarbten Handrücken. Er hatte schlanke, kräftige Finger, wie ein Pianist.
    „Haben Sie französische Vorfahren?“, fragte sie.
    „Oui.“ Er grinste. Zum ersten Mal wirkte er charmant.
    Irgendwo entfernt klapperte eine Tür. „Nicolá!“, rief jemand von der anderen Seite des Hauses. „Nicolá, bist du da?“
    Er stand auf. „Entschuldigen Sie, ich komme gleich wieder.“
     
    Das war gelogen. Azizah trank ihren Tee aus und Nicolá blieb verschwunden. Sie griff nach der Kanne und stellte fest, dass sie leer war. Leise stand sie auf und ging in die Küche, um frisches Wasser aufzusetzen. Die Haustür klaffte auf. Sie warf einen Blick hinaus, doch konnte niemanden entdecken.
    „Nicolá?“, fragte sie halblaut. Das Wasser auf dem Herd begann leise zu zischen.
    Vom Flur führte eine zweite Tür zu den restlichen Zimmern des Hauses. Sie spähte durch den Spalt in einen großen Raum mit einem niedrigen Sofa und Sitzkissen aus Wolle. Sisalmatten bedeckten den Boden. Zwei weitere Türen führten in angrenzende Räume. Sie erhaschte einen Blick in ein Atelier. Vor der Wand stand eine Staffelei, dahinter ein Stapel Leinwände.
    „Nicolá?“, rief sie noch einmal. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, aber ihre Neugier war stärker. Schließlich war es seine Schuld, wenn er seine Gäste sich selbst überließ.
    Das Atelier hatte große Fenster. Auf der Staffelei ruhte eine grundierte Leinwand, daneben stand ein Rollcontainer voller Pinsel, Paletten und Farbtuben. Auf der anderen Seite lehnten Gemälde an den Wänden, mit Tüchern verhüllt. Sie lüftete die Abdeckung und warf einen Blick auf das vorderste Bild. Sie brauchte einen Moment, um das Motiv zu erfassen, geometrische Formen, verwoben mit arabischer Kalligrafie. Es erinnerte sie an etwas. Sie hatte das schon einmal gesehen. Sie kam nur nicht darauf, wo. Auch nicht, als sie länger darauf starrte.
    Dann hörte sie Männerstimmen von draußen, Fetzen einer Unterhaltung. Sie zuckte zusammen, zog das Laken zurück und floh aus dem Zimmer. Sie schob die Tür hinter sich zu, bemüht, kein Geräusch zu machen. Das Wasser in der Küche kochte sprudelnd. Sie nahm es vom Herd und griff nach der Teedose im Regal.
    Eine Sekunde später trat Nicolá in den Raum. Sie drehte den Kopf und lächelte ihn an. Es war eine bemühte Geste. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie es noch im Hals zu spüren glaubte.
    „Entschuldigen Sie.“ Er trat einen Schritt näher. „Das war mein Freund Sarkis. Er hat extra einen weiten Weg auf sich genommen, um mir etwas zu zeigen.“
     
    *
     
    Sarkis hatte es ihm bestätigt. Die Frau war wirklich die Tochter von Selman Abourjeili. Nur eine Studentin, die die Semesterferien bei ihren Eltern verbrachte.
    Nikolaj blieb am Tor stehen und blickte ihr nach, bis sie hinter der Biegung verschwand. Er fühlte Erleichterung. Seit er das Haus gekauft hatte, war er vorsichtig gewesen. Außer mit dem Kloster, in dem seine Bilder hingen. Das war nicht rational, er hatte es aus einem inneren Bedürfnis heraus getan. Vielleicht ein Fehler. Er musste mit Pater Georg sprechen und ihn bitten, in Zukunft seinen Namen nicht mehr preiszugeben, wenn ein Tourist danach fragte. Der Abt würde verstehen, dass er von fremden Leuten nicht belästigt werden wollte.
    Er war Nicolá Martin, französischstämmiger Libanese, der in der New Economy-Ära viel Geld mit seiner Computerfirma verdient hatte und des Geschäftslebens müde geworden war. Der sein Geld genommen und sich den Ausstieg finanziert hatte. Pater Georg verstand diese Geisteshaltung, deshalb hatte er auch keinen Augenblick an der Geschichte gezweifelt.
    Nikolaj drehte sich um und kehrte zurück ins Haus. Mit langen Schritten durchquerte er den Wohnraum und betrat das Badezimmer an der Rückseite des Hauses. Das Mosaik, von dem er Azizah erzählt hatte, war ein Schriftornament von fast einem Quadratmeter Fläche. Die Restaurierung des kleinen Raums hatte ihn beinahe ein Jahr gekostet.
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