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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall
Autoren: Andrea Schacht
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Im Angesicht des Todes
    Mit einem abgrundtiefen Seufzer ließ Kelda den Rucksack von den Schultern gleiten und warf die Reisetasche neben dem Bett auf den Boden.
    Ein richtiges Bett, breit, mit einem geschnitzten Kopfteil, einer weichen – na gut, zu weichen – Matratze und einer weißen, mit blauen Fischen bedruckten Decke. Viel besser als die schmale Pritsche in Matts Wohnmobil. Auch das Badezimmer, wenngleich im Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eingerichtet, war jetzt ihr Eigen – um Welten besser als die naturbelassenen Sanitäreinrichtungen in der Düne.
    Sie trat zum Fenster und blickte zum Meer hinaus.
    Bretagne – genauer Finistère. Noch genauer Brignogan. Noch einmal seufzte sie.
    Glutrot versank die Sonne im Wasser – ein idyllischer Anblick, doch Kelda verursachte es noch immer ein Schaudern. Knapp, nur ganz knapp war sie vor einigen Stunden dem Tod durch Ertrinken entronnen. Die felsige Küste hier hieß nicht umsonst
Côte des Naufrages
– Küste der Schiffbrüche. Was Matt nicht als Warnung, sondern als Herausforderung betrachtet hatte. Er hatte sie zu einem Segelausflug überredet, besser gezwungen. Sicher war er ein geschickter Segler, Surfer und Kiteboarder, aber er war auch waghalsig und unbelehrbar.
    Kurzum, das geliehene Boot geriet in eine der tückischen Strömungen vor den Felsen, kenterte, und nur durch die Hilfe eines beherzten Fischers wurden sie noch rechtzeitig aus dem Wasser gezogen, bevor sie die Brandung an den Felszacken zermalmte.
    Matt lachte darüber.
    Kelda nicht.
    Er brüstete sich sogar damit vor der Surferclique, die sich unweigerlich um ihr Wohnmobil scharte, wo immer sie auftauchten.
    Kelda packte währenddessen ihre Sachen zusammen und rief ihre Freundin Marie-Claude an, um ihr zu sagen, dass sie ihr Angebot annehmen würde und in das kleine Ferienhaus ziehen wollte. Weg von feuchten Handtüchern, nassen Neoprenanzügen, tropfenden Segeln, aufgewärmter Dosennahrung und lauwarmem Bier.
    Weg von Matt.
    Welche Konsequenz das nun haben würde, darüber wollte sie erst einmal nicht nachdenken.
    Marie-Claude hatte sie abgeholt und zu diesem Häuschen am Ortsrand von Brignogan-Plage gebracht. Ein uraltes Gemäuer aus dem landestypischen grauen Stein, mit einem Schieferdach, auf dem sich allerlei gelbgrüne Flechten breitmachten. Die Tür und die Fensterläden waren dunkelblau gestrichen, doch blätterte die Farbe überall schon ab. Dafür aber rankte sich eine wunderschöne gelbe Rose üppig an den Mauern hoch und verströmte süßen Duft. Eine kleine Terrasse mit etwas morschen Planken belegt lud mit einem Grill und den obligatorischen weißen Plastikstühlen zum Verweilen ein, das Grundstück jedoch trotzte jeder gärtnerischen Verschönerung. Der Sandboden gab nichts als hartes Gras her.
    Die Miete war erschwinglich, der Blick aus den kleinen Fenstern hinreißend.
    Die Sonne war nun versunken und ließ einige Wolkenstreifen am Himmel aufglühen. Kelda wandte sich ab, holte sich einen Pullover aus der Tasche und ging die knarrenden Holzstiegen nach unten, wo sich der Wohnraum und eine altmodische Küche befanden. Marie-Claude war einegute Freundin – und eine noch bessere Köchin. Sie hatte ihr einen Topf mit Suppe, Brot, Käse und eine Quiche in den Vorratsschrank gestellt. Eine Flasche Cidre stand ebenfalls bereit. Kelda richtete sich ihr Abendessen. Erst erwog sie, die Terrasse zu nutzen, aber vom Meer wehte ein kühler Wind heran, also setzte sie sich mit ihrem Mahl auf das breite Sofa vor dem Kamin, um es zu verzehren. Still war es hier, nur hin und wieder hörte man das Brummen eines Autos oder Motorrads auf der Küstenstraße, sonst blieben noch das Rauschen des Meeres und der Gesang eines unermüdlichen Abendvogels.
    Kelda genoss die Ruhe. Sie war so ganz anders als auf dem Platz, wo das Wohnmobil stand. Das Meeresrauschen und der Vogelsang wurden leider dort von der Musik überdröhnt, zu der sich die Helden der Wellen lautstark mit ihren Taten brüsteten. Zumindest in Matts Umgebung war das immer so.
    Es war dämmerig geworden, und aus der staubigen Deckenlampe sickerte sparsames Licht. Zum Lesen war es zu dunkel, ein Fernsehgerät gab es in diesem Haus nicht, und Radio mochte sie nicht hören. Also beschloss sie, sich auf dem plüschigen Sofa auszustrecken, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Sie nahm Teller und Bestecke, brachte sie in die Küche und goss sich noch einen Becher Cidre ein. Ihn stellte sie auf dem niedrigen Couchtisch ab und ließ
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