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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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Müdigkeit ergeben, die die ganze Zeit am Rand seines Bewusstseins lauerte. Er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf.
    Zu spät realisierte er die Bewegung im Augenwinkel. Seine Reflexe ließen ihn im Stich. Etwas Kaltes berührte ihn im Nacken und er wusste, dass es die Mündung einer Pistole war.
    „Runter auf die Knie.“ Der gemurmelte Befehl ging unter im Geräusch des anfahrenden Zuges.
     
    *
     
    Carmen hatte das Radio eingeschaltet und lauschte den Nachrichten, während sie auf dem Bett lag und zur Decke starrte. Ihre Augen waren rot und geschwollen, obwohl sie ein paar Stunden geschlafen hatte. Die Digitalziffern auf dem Wecker standen auf sieben Uhr zweiunddreißig. Regen lief in breiten Schlieren über die Fensterscheiben. Draußen dämmerte träge ein bleifarbener Morgen herauf.
    Der Sprecher berichtete über die Haushaltsdebatte im Berliner Senat, über die bevorstehende Bundestagswahl, über ein Unwetter, das Teile von Südbayern verwüstet hatte. Aber nichts über die Schießerei auf der Museumsinsel. Es war, als hätte sie sich alles nur eingebildet. Dabei hatte sie gesehen, wie Kusowjenko unter den Schüssen zusammengebrochen war und wie sie später seine Leiche weggetragen hatten. Sie dachte an Nikolaj, an seine verzerrte Stimme, seine letzte Meldung durchs Funkgerät.
    ‚Es ist alles okay.’
    Nichts ist okay, wollte sie schreien.
    Fest biss sie sich auf die Lippen, bis sie zu bluten begannen.
     
    *
     
    Wie Donner krachte der Schuss in die Stille. Er brach sich an den glatt gekachelten Wänden und hallte die Stufen hinauf. Ein Penner, der am oberen Ende der Treppe Zuflucht vor dem Regen gesucht hatte, schrak auf und flüchtete zum Aufgang.
    Die Zeiger der Bahnsteiguhr rückten mit einem hörbaren Klack vor.
     
    *
     
    Als Katzenbaum die sichere Wohnung betrat, stand Tal in der Küche, den Rücken zur Tür, und starrte rauchend hinab in den Regen. Der Katsa warf einen Blick ins Wohnzimmer, dann in die anderen Räume. Auf dem Flurboden klebte getrocknetes Blut. „Wo ist Rafiq?“
    Tal zuckte mit den Schultern. In Katzenbaum zog sich etwas zusammen. „Er ist uns gefolgt, nicht wahr?“
    „Möglich.“ Tal schnippte den Zigarettenrest hinaus in den Hof. „Wie ist es gelaufen?“
    „Wir haben, was wir wollten.“ Katzenbaum hatte plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. Sein Bein schmerzte. Er fühlte sich müde und ausgelaugt, wie ein Mann, der tausend Kilometer weit eine Wüste durchquert hat, nur am anderen Ende zu erkennen, dass weitere tausend Kilometer Sand vor ihm liegen.
    Fühlen Sie sich verantwortlich für den Tod der fünfzig Kinder?
    Tat er es? Fühlte er sich verantwortlich? War es nicht das Gewicht der Schuldgefühle, das ihm seit jenem Tag den Rücken beugte, jedes Jahr ein wenig mehr? Wie konnte man sich eine solche Schuld eingestehen und einfach weiterleben? Die Namen waren Dynamit, doch bislang ohne Zünder. Was sollte er jetzt tun? Die Bombe zünden, und die Heimat, die er liebte, in einen politischen Abgrund reißen, um zwei Männer zu bestrafen, die falsch verstandene Vaterlandsliebe für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert hatten? Um wie viel einfacher wäre es gewesen, wenn der Russe einfach ja gesagt hätte zu Levs verhülltem Angebot.
    „Und Fedorow?“, fragte Tal.
    „Schuldet uns was.“
    „Ich nehme an, das bleibt unser Geheimnis?“
    Katzenbaum lächelte schmal.
     
    *
     
    „Runter auf die Knie“, wiederholte Rafiq.
    Nikolaj betrachtete den Krater, den die Kugel in die Mosaikwand neben seinem Kopf gerissen hatte.
    „Und Hände in den Nacken.“
    Korditgestank hing in der Luft. Langsam breitete er die Arme vom Körper weg. Er ließ sich zuerst auf ein Knie herunter, dann blickte er sich um. Rafiq stand dicht hinter ihm und hielt die Waffe auf Brusthöhe. „Mach schon!“
    Er spannte sich und hob die Hände noch ein kleines Stück höher, bis zu den Schultern. Dann ließ er seine rechte Hand vorschnellen und packte Rafiqs Handgelenk. Er ruckte herum und lenkte gleichzeitig die Waffe nach oben. Zwei Schüsse explodierten, die Kugeln schlugen in die gekachelte Decke. Putzbrocken und Sand stürzten herab. Nikolaj rammte seinen Ellenbogen in Rafiqs Leib. Rafiq keuchte und verlor das Gleichgewicht. Gemeinsam stürzten sie und rangen schwer atmend um die Pistole.
    Nikolaj ballte seine freie Hand zur Faust und schmetterte sie gegen Rafiqs Jochbein. Fast gleichzeitig traf ein Hieb seine verletzte Seite. Er hörte sich selbst schreien. Blut rauschte in
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