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Der Schrecken verliert sich vor Ort

Der Schrecken verliert sich vor Ort

Titel: Der Schrecken verliert sich vor Ort
Autoren: Monika Held
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I Das Haus stand am Ende der Straße, der Garten verband sich ohne Zaun mit dem Wald. Sie zögerten den Kauf hinaus, als entschieden sie über ihr Schicksal. Beim ersten Rundgang schien die Sonne und Heiner sagte: Das Wohnzimmer ist freundlich. Lena mochte die Pflaumenbäume im Garten und sah sich Mus einkochen. Die Maklerin gab ihnen den Hausschlüssel, nehmen Sie sich Zeit, sagte sie, prüfen Sie, ob sie zueinander passen. Wie prüft man, ob ein Haus zu zwei Menschen passt oder zwei Menschen zu einem Haus? Sie wussten es nicht. Sie umrundeten das Haus, näherten sich ihm von allen Seiten. Es langweilt sich, sagte Lena, es war zu lange allein. Heiner fragte das Haus nach der Zukunft. Was wartete hier, Unheil oder Glück? Das Haus blieb stumm. Wenn sie die Fensterrahmen weiß streichen, sähe es freundlicher aus. Beim zweiten Rundgang war der Himmel grau und Heiner fand sechs Zimmer zu viel für ein Paar, aber Lena hatte für jeden Raum eine Idee. Wohn-, Arbeits- und Bügelzimmer im Parterre, im ersten Stock das Schlafzimmer und zwei Zimmer für Gäste.
    Er prüfte die Siedlung. Es gab keine Geschäfte, keine Kneipe, keinen Kiosk, nur neue Häuser, zum Verwechseln ähnlich, nicht einmal an den Vorgärten zu unterscheiden. Kurzer Rasen und ein Rhododendronstrauch oder: Kurzer Rasen und ein Ginsterbusch. Gut so. Er schritt die Wege ab. Vor den Türen standen kleine, schmutzige Schuhe und in den Gärten hingen Schaukeln. Es gab einen Spielplatz mit einer Rutsche und Kinder im Sandkasten. Ein Mädchen mit blonden Zöpfen flitzte auf Rollschuhen durch die Siedlung, die Mutter rief aus dem Küchenfenster: Jenny, gib acht und Heiner brachte der Anblick des flinken Kindes einen Namen zurück, bei dem ihm nicht wohl war. Kaija. Die Kinder würden wachsen und wenn ihre Eltern alt waren, wären sie immer noch jünger als er heute. In einer Siedlung mit Leuten seines Alters hätte er schlecht geschlafen. Die Siedlung ist in Ordnung, sagte er, aber muss ein Haus nicht Liebe auf den ersten Blick sein? Sie brachten den Schlüssel zurück und besichtigten andere Häuser in anderen Neubaugebieten. Als das Haus nach einem Monat noch immer zu verkaufen war, statteten sie ihm einen dritten Besuch ab. Es war am frühen Abend, der Tag diesig und schwül – ein Wetter, das alle Häuser trist aussehen lässt. Sie setzten sich in die Hollywoodschaukel, die auf der Terrasse vergessen worden war. Lena stellte die Thermoskanne und zwei Kaffeebecher auf den Tisch, sie warteten und hätten nicht sagen können, worauf. Nebelschwaden setzten sich auf die Tannenzweige und glitten von dort auf den Waldboden. Die Vögel waren still, als hätte sich ihnen der Nebel auf die Schnäbel gelegt. Lena legte den Arm um Heiner. Was meinst du, ist das ein Ort für deine Seele?
    Er duftet, sagte er, das ist ein gutes Zeichen.
    So rochen Lenas Haare, als sie damals seine Stirn bedeckten, über seine geschlossenen Augen fielen, die Nase kitzelten und er nicht wusste, ob die Haare der Frau, die sich über ihn gebeugt hatte, blond, braun oder schwarz waren. Sie lagen auf seinem Gesicht, waren warm und rochen nach Pilzen.
    Sie wiegten sich in der Hollywoodschaukel und wussten noch immer nicht, ob sie zu dem Haus passten oder das Haus zu ihnen. Sechs Zimmer sind zu viel, sagte Heiner und wie einsam es hier ist. Er goss sich Kaffee nach. Nur junge Leute und Kinder in der Siedlung. Mehr Katzen als Hunde. Sie beobachteten den lautlosen Weg des Nebels. Die Stille ist schön, sagte Heiner. Kaum hatte er den Satz zuende gesprochen, griff Lena nach seiner Hand: Horch. Es knackte im Wald, als würde ein Mensch über morsche Äste durchs Unterholz schleichen und sich der Terrasse nähern. Dann trat ein Hirsch mit mächtigem Geweih aus dem Wald.
    Das gibt es nicht, flüsterte Heiner, das ist unmöglich. Sag, dass das nicht wahr ist.
    Das Tier sah sie an, ruhig, ohne Angst, vielleicht nahm es die beiden reglosen Menschen auch nicht wahr. Es senkte den Kopf und drehte sich langsam um. Der Hirsch steckte bis zum Bauch im Nebel und schien auf einer weißen Wolke in den Wald zurück zu schweben. Sie hörten das Knacken der Äste unter den Hufen.
    Lena stand auf. Sie packte die Thermoskanne ein und zog Heiner von der Terrasse. Seine Hände waren eiskalt, er zitterte. Es ist ein Wink, sagte er, deutlicher kann das Schicksal nicht sprechen. Lena sah ihn an. So, so, sagte sie, du hörst das Schicksal – was spricht es denn?
    Kaufen, sagte Heiner, und wenn wir hier wohnen und wenn er
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