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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order
Autoren: Andrea Gunschera
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Touristen drängten sich in der Altstadt, der Duft von Kuchen und Nachmittagskaffee hing in der Luft.
    „Was kann ich Ihnen bringen?“, fragte der Kellner die junge Frau, die sich allein an einen Tisch gesetzt hatte. Sie trug Jeans und einen eleganten Kaschmirblazer. Rote Locken kringelten sich um ihr schmales Gesicht.
    „Milchkaffee“, sagte sie, „und Apfelstrudel.“
    Als der Kellner gegangen war, faltete sie die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung auseinander, die sie in einem Kiosk erworben hatte. Sie fand einen kurzen Aufmacher auf der ersten und den kompletten Artikel auf der dritten Seite. Späte Aufklärung. Der Mord an Levi Rosenfeldt und seine Fo l gen .
    Unwillkürlich musste sie lächeln. Ein Gefühl von Befriedigung stieg in ihr auf, eines, das nur teilweise damit zu tun hatte, dass sie jetzt frei war. Es war das Wissen, das Richtige getan zu haben, endlich einmal. Späte Gerechtigkeit. Sie hoffte nur, dass der Impuls nicht in den Mühlen von Bürokratie und Beziehungen versackte und dass Männer wie Liberman und Cohen mit den Konsequenzen ihrer Taten konfrontiert wurden.
    Sie lehnte sich zurück und blinzelte in die Sonne. Vor einer Woche hatte sie sich neue Papiere machen lassen. Carmen Arndt war jetzt Katharina Hofmeister. Sie dachte an Nikolaj.
    Sie fragte sich, ob er es geschafft hatte, wie jeden Tag, seit seine Stimme in Rauschen und atmosphärischen Störungen verstummt war.
     
     
     
    Hawqa | Libanon
     
    Er fand Sarkis zwischen seinen Orangenbäumen auf der Rückseite des Hofes. Der alte Mann mähte Gras und bemerkte Nikolaj nicht, bis er direkt hinter ihm stand. „ Ass a lam aaleikum .“
    Sarkis drehte sich um. Ein Lächeln glättete die verwitterten Züge, als er Nikolaj erkannte. „ Aale i kum es salam . Nicolá, mein Freund. Das war eine lange Reise, ja?“
    Ein Gefühl von Wärme überwältigte Nikolaj. „Wie geht es dir?“
    Sarkis lehnte die Sense gegen einen Baum. „Kommst du, um deine Sachen zu holen?“
    Er nickte.
    „Hast du Zeit, um eine Tasse Tee mit mir zu trinken?“
    Es zerschnitt ihm fast das Herz, weil er Sarkis die Bitte abschlagen musste. Aber er wollte sich nicht länger aufhalten als nötig. Es war ohnehin Leichtsinn gewesen, noch einmal hierher zurückzukehren.
    Als er dann im Wagen saß, die Lederhüllen mit den Leinwänden auf dem Beifahrersitz, und die Kurve am Ortsausgang von Hawqa hinter sich ließ, warf er einen letzten Blick hinauf zum Hügel. Er konnte das Haus von hier unten nicht sehen, aber dachte an das Mosaik, das er ein Jahr lang restauriert hatte. Ein Makler aus Beirut würde einen Käufer dafür finden.
    Er passierte den kleinen Parkplatz, der zum Kloster gehörte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, zurückzufahren und noch einmal die ausgetretenen Stufen hochzusteigen. Er verwarf es, doch dieses Mal ohne Bitterkeit. Die Straße schraubte sich höher in die Berge, die Bäume wichen zurück. Er ließ ein Fenster herunter. Die Luft war weich und klar und legte sich wie Balsam auf seine Sinne. Seine Gedanken kreisten, aber sie waren nicht mehr wund und zerrissen, wie zu dem Zeitpunkt, als er Berlin verlassen hatte.
    Carmen hatte sich nicht wieder gemeldet.
    Der kühle, analytische Teil in ihm versicherte sich, dass es besser so war. Zu viele Lügen, zu viele Missverständnisse. Dennoch hatte sie etwas in ihm aufgebrochen, und nachdem der Schmerz abgeklungen war, spürte er, dass sie einen Teil von sich zurückgelassen hatte. Er dachte noch an sie, jeden Tag. Ihr Antlitz fand ihn in seinen Träumen. Doch er hatte aufgehört, sich zu zerfleischen.
    Seine Maschine nach Rom ging in vierundzwanzig Stunden. Er hatte ohne Schwierigkeiten in den Libanon einreisen können und glaubte nicht, dass es beim Abflug Probleme geben würde. Seit er Berlin verlassen hatte, hatte er niemanden mehr auf seiner Fährte entdeckt. Von Rom aus gab es eine Zugverbindung nach Vibo Valentia.
    Es würde noch eine Zeit dauern, bis die Wunden vernarbt waren, die am Körper und die an der Seele. Lange hatte er über ein neues Refugium nachgedacht. Einen Platz, weit entfernt von den Brennzentren des Lebens, einen anonymen Ort. Aber das war es nicht, was er wirklich brauchte.
    Zu viele lose Enden.
    Er hatte an Francesco gedacht. An das, was der Italiener in Innsbruck gesagt hatte. Über Anna Tiépola, aus deren Leben er über Nacht verschwunden war. Seine Existenz bestand nur aus Fassaden. Und wenn er ging, ließ er lose Enden zurück. Anstatt sich ein neues Loch zu suchen, in das
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