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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade
Autoren: Daniel Annechino
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für Politiker.
    Â»Gibt es eine Leiche?«, wollte Sami wissen.
    Â»Bin mir nicht sicher. Ich muss los. Versuche noch etwas zu schlafen.«
    Â»Das wird wohl kaum noch was werden.« Sie schlug die Decke zurück, stand auf und streckte sich. Ihre täglichen Dehnungsübungen halfen ihr sehr bei ihren Rückenproblemen. Sie stand vor Al, als er hektisch sein Hemd zuknöpfte. »Letzte Nacht war toll.«
    Â»Hast du was anderes von einem heißblütigen Latino wie mir erwartet?«
    Sie lächelte. »Sollte ich nicht hier sein, wenn du nach Hause kommst, rufe mich auf dem Handy an. Ich werde Angelina etwas später zu meiner Mutter bringen.«
    Â»Warst du nicht erst gestern bei ihr?«
    Â»Ich mache mir Sorgen um sie. Sie bekommt kaum Luft, wenn sie einfach nur auf der Straße läuft. Und ihr Gedächtnis? Ich bin schon überrascht, wenn sie mich überhaupt erkennt.«
    Al legte sein Schulterholster um und schlüpfte in seine Lederjacke. »War sie bei ihrem Arzt?«
    Â»Er hat ihr neue Medikamente verschrieben, aber ich bin nicht sicher, ob die viel bringen. Ich mache mir Sorgen, weil sie alleine wohnt. Wenn mitten in der Nacht etwas passiert …«
    Â»Vielleicht sollte sie eine Weile bei uns wohnen.«
    Sein Vorschlag überraschte sie. »Und du hättest kein Problem damit?«
    Â»Solange wir ein Schloss an unserer Schlafzimmertür ­haben, stört es mich nicht.«
    Sie streichelte sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn zärtlich. »Du bist ein wirklicher Schatz.«
    Gerade als er zur Tür wollte, hielt sie ihn an der Schulter zurück. »Du musst mich nicht mehr vor dem Schwarzen Mann beschützen, Al. Ich bin ein großes Mädchen, du musst nicht aufpassen, was du mir alles erzählst. Ich kann damit umgehen.«
    Â»Es gibt nichts zu erzählen. Noch nicht.«
    Â»Na gut, aber wenn ja, dann hab keine Angst, mir davon zu berichten.«

    Als Julian wieder bei sich zu Hause war, stürmten Gedanken an Genevieve auf ihn ein. Einige waren erregend, andere bedrückend. Sie war seine Erste gewesen, eine Jungfernreise in eine unbekannte Welt. Ganz egal, wie sehr er versucht hatte, seine Reaktion vorherzusagen oder sich vorzustellen, was auf ihn zukommen würde, nichts hätte ihn auf den überwältigenden Ansturm widersprüchlicher Gefühle vorbereiten können, die er jetzt empfand. Einerseits kam er sich wie ein Pionier vor, ein Mann, der vielleicht bald Medizingeschichte schrieb; andererseits fühlte er sich wie ein Monster, ein Heuchler, ein Mörder, der unschuldige Menschen auf dem Gewissen hatte.
    Seine Situation war paradox. Als erfahrener Herzchirurg hatte er viele Menschenleben gerettet und nur wenige verloren. Doch er konnte Genevieve nicht als normale Patientin betrachten. Wenn auch unfreiwillig stand sie nun für einen grundlegend ersten Schritt in seiner Forschungsstudie. Die Daten, die er sammeln konnte, bevor all seine Bemühungen, sie wiederzubeleben, gescheitert waren, machten ihm schmerzlich deutlich, dass die Antworten, nach denen er suchte, nur am lebenden Subjekt zu finden waren. Er musste der Global A-Fib Foundation unzweifelhaft beweisen, dass man durch die Modifizierung der Katheterablation sowie der Maze- III -Operation das Vorhofflimmern mit einer Erfolgsquote von 95 Prozent in den Griff bekam. Von Beginn des Projektes an hatte er befürchtet, dass kontrollierte Testreihen und die Arbeit an Leichen niemals die Daten liefern würden, die er bräuchte, um seine Forschungsstudie abzuschließen. Genevieve hatte seine Theorie nun bestätigt.
    Wie in Trance wanderte Julian in die Küche, er fühlte sich schwach, und ihm war beklommen zumute. Er stellte sich hinter seine Frau, die am Küchentresen einen Apfel schnitt, und küsste Nicole auf den Hals, mehr aus Gewohnheit als mit Absicht. Sie drehte sich um und schaute ihn an.
    Â»Herrje«, sagte Nicole, »du siehst aus wie ein Gespenst. Bist du etwa krank?«
    Â»Nur ein wenig vergrippt.«
    Â»Und dann küsst du mich? Halt dich bloß von den Mädchen fern. Das Letzte, was ich jetzt noch brauche, sind ein paar kranke Kinder.«
    Â»Entschuldige«, erwiderte er. Seit einiger Zeit schien »entschuldige« sein meistbenutztes Wort zu sein. Zumindest wenn er mit Nicole zusammen war.
    Â»Ich muss dich etwas fragen«, meinte Nicole. »Es ist ein heikles Thema, ich weiß, aber was
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