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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade
Autoren: Daniel Annechino
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Oberkörper, Hand­gelenken, Schulter und Knöcheln. Er schaltete den Herzmonitor ein, und Genevieve, die sich anstrengte, ihre Augen offen zu halten, konnte ihren Herzrhythmus auf dem Mo­nitor verfolgen. Sie war sich nicht sicher, wie eine normale Herzfrequenz aussah, aber sie konnte gerade noch sehen, dass ihr Puls siebenundneunzig Mal in der Minute schlug.

    Julian, der grüne Krankenhauskleidung trug, stellte die Videokamera an und stand am Bett neben einem kleinen Tisch mit allem möglichen Operationsbesteck. Er schätzte diese Qualitätsinstrumente. Für manche waren sie einfacher ­kalter Stahl, doch einem Chirurgen waren sie heilig. Er ­betrachtete jedes einzelne prüfend und vergewisserte sich, alles Nötige dort liegen zu haben. Er überprüfte bei Genevieve, ob die Narkose auch wirkte und sie nicht bei Bewusstsein war. Dann erst griff er nach einem Skalpell und verharrte einen Augenblick, bevor er den kritischen ersten Schnitt an ihrem nackten Körper setzte.
    Er stellte fest, dass er gewisse Einschränkungen hinnehmen musste. Im Operationssaal eines Krankenhauses würden ihm andere Chirurgen zur Hand gehen, ein Anästhesist, mehrere Krankenschwestern und ein Operationstechniker. Hier war er völlig allein. Und in seinem Loft gab es natürlich keinen sterilen Bereich. Auf der anderen Seite müsste er sich darum keine Gedanken machen, denn eine Infektion wäre völlig unerheblich, da keines seiner Studienobjekte die Experimente überleben würde.
    Von nun an würde sich alles, was Julian in seinem Leben, seiner Karriere, seinen Beziehungen zu Familie und Freunden lieb und teuer war, für immer ändern. Und er würde gegen den hippokratischen Eid verstoßen. Wenn er erst einmal den Mut gefunden hatte, mit dem Skalpell gegen ihr Brustbein zu drücken, gab es kein Zurück mehr.
    Er zwang sich dazu, sich auf das wichtigste Ziel dieser Forschungsstudie zu konzentrieren: die weltweite Anerkennung. Er wollte als Pionier unter den Chirurgen gelten.
    Er betrachtete ihren perfekt geformten Körper, ihre Verletzlichkeit, die sanften Kurven, die von der Schulter zu den Brüsten bis zu den Hüften verliefen, den sorgfältig enthaarten Intimbereich und – zog das Skalpell zurück. Auch wenn es gegen jeden Rest von Vernunft sprach, der ihm irgendwo noch geblieben war, so begehrte er sie doch. Oh, und wie sehr er sie begehrte. Wenn er mit ihr schlief, müsste er sich nur mit seinem Gewissen auseinandersetzen.
    Ihm fiel die Ähnlichkeit erst jetzt auf, doch Genevieve erinnerte ihn an ein Mädchen, mit dem er im College befreundet war. Nun ja, »befreundet« ist kaum der richtige Ausdruck. Sie war in die zwölfte Klasse gegangen, er in die zehnte. Eva Sowieso. Eine Studentin aus Island. Ihren Nachnamen hatte er nie aussprechen können. Tatsächlich hatte niemand ihn aussprechen können, denn er war so lang wie ein ganzer Straßenzug.
    Eines Tages änderte sich alles, als er in Evas Wohnung kam und sie im Bett vorfand, die Handgelenke mit Satinbändern an das Kopfende des Bettes gebunden. Bis heute hatte er keine Ahnung, wie sie das ohne jede Hilfe geschafft hatte. Er hatte nie gefragt. Und sie hatte es ihm nie erzählt.
    Â»Fick mich«, hatte sie gesagt. »Fick mich hart.«
    Ihre Aufforderung, so simpel wie direkt, katapultierte seine Lust in Höhen, die er nicht für möglich gehalten hätte. Sogar jetzt noch klangen diese Worte in seinem Kopf nach wie eine magische Symphonie. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so erregt gewesen zu sein. Er war wie auf einer Überdosis eines exotischen Aphrodisiakums. Erregter als jemals zuvor fiel Julian heftig über sie her und genoss jede einzelne Minute. Und Eva, die stöhnte wie eine verwundete Katze, musste es genauso genossen haben. So umwerfend die Erfahrung auch gewesen war, der bloße Gedanke, sie auf jede nur erdenkliche Weise zu nehmen, dass er völlige Kontrolle über sie hatte, vollkommen egoistisch sein konnte und, wenn er wollte, nur sich selbst zu befrie­digen brauchte, machte ihm Angst; er befürchtete, niemals wieder herkömmlichen Sex genießen zu können.
    Aber da gab es noch etwas. Die ganze Zeit, bei jedem Stoß, sprach er innerlich diese Worte: »Dies-ist-für-dich-Rebecca. Dies-ist-für-dich-Marianne.« Es war wie ein stiller Triumph, als ob er mit ihnen abrechnete.
    Julian zwang seine Gedanken wieder
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