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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr
Autoren: Swati Avasthi
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Gänsehaut.
    »Mom! Ich brauche meinen Autoschlüssel!«, brülle ich an ihm vorbei, bevor er die Tür zuknallt.
    Stirnwunden sind die reinsten Sprudelquellen. Das Blut, das an der Seite meines Kopfes hinunterlief, als ich auf dem Boden lag, sucht sich jetzt einen anderen Weg und ich muss es mir aus den Augenbrauen wischen. Ich gehe an der Seite des Hauses entlang zu meinem Auto.
    Die Autotür ist verschlossen.
    Ich verschränke die Arme, reibe sie, um warm zu werden, und stehe ratlos da, bis mir der Zweitschlüssel in meiner Kameratasche einfällt. Meine Mom hat immer darauf bestanden, dass ich einen dort aufbewahre. Und das gibt mir jetzt fast den Rest, diese kleine Geste. Ich will mich einfach hinsetzen, das Gesicht in meinen Händen vergraben und heulen, aber mein Dad hat mir keine Tränen mehr übrig gelassen. Ich krame meinen Schlüssel heraus und werfe den Motor an.
    Die blaue Armaturenbeleuchtung glimmt zufrieden, als hätte sich nichts verändert, als würde ich morgen hier aufwachen, zurück zur Schule gehen, Lauren treffen und mit Edward kicken üben. Eine Tür knallt und meine Mutter eilt zum Auto. Sie steht an der Beifahrerseite im Lichtkegel der Straßenlaterne. Ich kann keine Spuren von heute Abend entdecken. Mein Dad macht das gut.
    Ich lasse das Beifahrerfenster herunter. Sie beugt sich herein und reicht mir einen Briefumschlag und meinen Schlüsselbund.
    Ich lege die Schlüssel auf den Sitz und hole einen Stapel Geldscheine – Einser und Fünfer – aus dem Briefumschlag.
    »Hat er dir das gegeben?«, frage ich.
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe ein paar Scheine in einer Tamponbox im Badezimmer versteckt.«
    Ich nicke. Die ganze Zeit über hat sie also wie ein Eichhörnchen Geld beiseitegeschafft, kleine Scheine, die niemand vermissen würde; sie hat aus ihrem Fehler gelernt, vom letzten Mal, als wir versucht hatten abzuhauen und sie diese große Summe abgehoben hatte, die ihn auf den Plan rief, bevor wir überhaupt das Haus verlassen hatten.
    »Fahr los. Er wird dir helfen.«
    Für eine Sekunde denke ich, sie spricht von dem Allmächtigen, aber ihr Blick fixiert den Briefumschlag. Ich halte ihn ins Licht und erkenne eine Adresse, aber keinen Namen. Verwirrt sehe ich sie an.
    »Christian«, flüstert sie.
    Ich halte den Atem an. »Wo hast du den her?«
    »Er hat ihn mir geschickt«, sagt sie und wird rot. »Geh zu ihm.«
    »Komm mit mir«, sage ich. »Komm schon, steig ein.«
    Ich greife über den Sitz und drücke den Griff hinunter, sodass sich die Tür öffnet. Sie lehnt sich gegen die Tür und drückt sie zu. Ihre Augen glänzen. Sie blinzelt die Tränen weg und lässt sie über ihre Wangen rinnen.
    »Fahr los«, sagt sie, »ich komme dann nach.«
    Ich will sie fragen, wann – bevor er sie ins Konzert ausführt, bevor sie für ein Abendessen ins »Russian Tea Time« einkehren oder für ein ganzes Wochenende ins »Drake Hotel« oder nach den nächsten Schlägen, wenn der Kreislauf wieder von Neuem beginnt. Ich weiß, die Zündschnur meines Dads ist nur zwei Monate lang, wenn’s hochkommt. Aber als ich gerade sagen will: »Noch diesen Monat«, kommt mein Vater aus dem Haus, den Morgenmantel fest um die Hüften geschnürt.
    Er knallt die Tür hinter sich zu, dann sieht er, dass im Arbeitszimmer von Professor Coe nebenan noch Licht brennt. Der paranoide Nachtschwärmer Coe geht zum Fenster und öffnet es. Alles ändert und verlangsamt sich: Mein Dad stürmt nicht mehr aus dem Haus, sondern schlendert; seine Grimasse wird zu einem beiläufigen Lächeln. Er schubst meine Mutter mit der Hüfte zur Seite und beugt sich ins Auto.
    »Wenn du zurückkommst, bringe ich sie um.« Sein Tonfall ist beherrscht – knapp und ruhig. Wäre da nicht sein verkrampfter Griff an der Tür, hätte er genauso gut sagen können: »Fahr vorsichtig.«
    Das Blut weicht aus meinem Gesicht. Mein Atem stockt und ich werfe einen Blick zu meiner Mutter. Ihre Augen sind weit vor Schreck. Das ist mein Dad von seiner gefährlichsten Seite. Ich habe ihn erst einmal so gesehen, damals, als sie zum ersten Mal versucht hatte, ihn zu verlassen.
    Du hättest gar nicht den Mumm, sie umzubringen. Du würdest nicht einen Tag ohne deinen Punchingball auskommen. Du bist viel zu schwach.
    Jetzt, da ich auf Christians Couch liege, fährt mir der Schreck in die Knochen und ich bin plötzlich hellwach. Oh Gott, hab ich das wirklich gesagt? Nachdem ich mich mein ganzes Leben lang auf Zehenspitzen bewegt hatte, war ich wirklich mit so etwas
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