Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr
Autoren: Swati Avasthi
Vom Netzwerk:
herausgeplatzt und hatte sie ihrem Schicksal überlassen? Eine Bemerkung wie diese, nur eine, und er würde seine Wut wieder und wieder an ihr auslassen, um die Behauptung zu widerlegen.
    Ich setze mich kerzengerade auf.
    Nein, nein, ich habe es nicht gesagt. Nur gedacht. Ich wickele mir die Decke, die mir Christian übergelegt haben muss, um die Hand und zurre sie fest. Es ist okay , wiederhole ich in meinem Kopf, bis ich wieder funktionieren kann. Meine Finger werden rot, lila, blau. Ich wickle die Decke ab.
    Ich lege den Kopf in den Nacken und lasse den Blick durch Christians Wohnung wandern: eine weiße Decke; ein Schreibtisch, auf dem jede Büroklammer ihren Platz hat; ein Computerbildschirm, auf dem eine ruhelose Linie immer neue Muster formt; der violette Teppich (was haben diese Vermieter doch alle für einen guten Geschmack); der Couchtisch aus Pressholz, der so leicht wirkt, als könne man damit jonglieren; die »Esszimmergarnitur«, die aus vier Metallstühlen mit weißen Glitzerpolstern und einem weiß laminierten Tisch mit gerilltem Chromrand besteht. Eine Bruchbude mit Flohmarktmöbeln. Die Couch ist hinten ganz eingesunken und eines der Polster ist dicker als das andere. Und hier soll jemand wohnen.
    Im Ernst, mein Zimmer zu Hause war wahrscheinlich größer als diese Wohnung.
    Christian sitzt etwas verloren am Esstisch, denn in der winzigen Küche ist kein Platz. Er trägt einen grünen Arztkittel und beobachtet mich. Eine blaue Teekanne, eine fast leere Schüssel Cornflakes und ein Becher stehen auf dem Tisch.
    Er fragt mich, ob ich Hunger habe. Ob ich etwas Tee möchte? Es ist Oolong-Tee.
    »Ja, warum nicht.« Ich gehe zum Tisch hinüber und greife nach seinem Becher.
    Er starrt auf meine ausgestreckte Hand und umklammert seinen Tee. »Ich mach dir einen Becher.«
    Meine Mom sagt, in einer Familie gäbe es keine Grenzen; wir teilen alles: Bakterien, Geld, Blut und so weiter. Eines Tages werden Christian und ich vielleicht vor einem Worldcup-Spiel sitzen und unsere Rootbeer-Flaschen verwechseln. Und er wird sich nicht beschweren, sondern es einfach in einem Zug herunterkippen.
    »Nee, lass man«, sage ich und setze mich hin.
    »Also.« Er schlägt die Beine übereinander und nimmt noch einen Schluck Tee. »Wo willst du eigentlich hin?«
    Er sitzt dort, schwenkt seinen Teebecher durch die Luft, als wäre es Brandy, und quatscht locker daher – als würde er einfach über das Wetter reden.
    Ich hole tief Luft. »Hierher. Ich wollte hierher.«
    Der Teebecher bleibt in der Luft stehen und Christians Augen weiten sich. Meine Hand ballt sich zur Faust.
    »Oder«, sage ich, »vielleicht sollte ich es mit Frankreich versuchen, mich in einer schmucken Villa niederlassen und an der Sorbonne studieren.«
    Ich stehe auf und kicke den Stuhl zurück an seinen Platz. Als ich aus dem Zimmer gehe, habe ich nur zwei Optionen: Christians Schlafzimmer oder das Badezimmer. Ich entscheide mich für das Badezimmer.
    Ich drehe den Wasserhahn auf und lasse das Wasser durch meine Finger laufen. Ich habe keinen Rasierer, keine Seife, keine Zahnbürste. Meine Zahnbürste in Chicago ist eine elektrische Oral B und ich glaube kaum, dass meine dreieinhalb Mäuse dafür reichen. Meine Zähne werden verfaulen und ausfallen und mit neunzehn werde ich mein Essen nicht mehr kauen können.
    Ich werfe einen Blick auf den Einpersonen-Arzneischrank in dem Einpersonen-Badezimmer in dieser Einpersonen-Wohnung. Mit der Couch kann ich mich anfreunden. So schlecht ist die gar nicht. Ich pinkele, wasche mir die Hände und spritze mir etwas Wasser ins Gesicht. Die Kälte tut gut, wie eine wohlverdiente Ohrfeige. Die Wunde an meiner Stirn brennt nach der Berührung mit dem Wasser. Ich finde ein Handtuch, das an einem einzelnen Haken hängt, und trockne mir mit einer kleinen Ecke das Gesicht ab.
    Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, zieht er gerade seine Jacke an.
    »Wollten wir nicht eine Jacke für mich kaufen?« Ich verschränke die Arme vor der Brust.
    Ich sehe wahrscheinlich aus wie eine Hausfrau aus den Fünfzigern, die schmollt, weil ihr Mann heute lange arbeiten muss. Ich klemme die Hände hoch unter die Achseln, um dieses Bild auszulöschen.
    »Wir gehen zusammen los, wenn ich von der Arbeit zurück bin. Und dann besprechen wir, was du machen musst, wenn du bei mir wohnen willst.«
    Na, vielen Dank. Da hab ich ja jetzt was, worüber ich den ganzen Tag nachgrübeln kann.
    »Klar, okay«, sage ich.
    »Am Kühlschrank klebt ein Zettel mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher