Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Erste Annaeherung an eine unbekannte Spezies - der Psychotherapeut in freier Wildbahn
    Von Psychotherapeuten, Hütchenspielern und Berggorillas
    Was ein Psychotherapeut ist, wissen Sie? Oder doch so ungefähr? In Wahrheit weiß das kaum jemand richtig. In Filmen wird immer lustig durcheinandergeworfen, was ein Psychologe ist, was ein Psychotherapeut tut, wer sich Psychiater nennen darf und ob das Ganze vielleicht auch noch irgendetwas mit einem Arzt zu tun hat. Da ist der Psychologe gleichzeitig Psychiater und setzt außerdem dem Patienten, mit dem er eben noch ein psychotherapeutisches Gespräch geführt hat, in der nächsten Szene auf einer einsamen Berghütte mit Taschenmesser und Kugelschreiber einen Luftröhrenschnitt nach allen Regeln der Kunst.
    Im Verlauf dieses Buches werden Sie erfahren, was der Unterschied zwischen diesen Bezeichnungen ist. Allerdings ist das Kapitel so entsetzlich langweilig, dass ich Sie nicht gleich zu Anfang damit erschrecken möchte.
    Bis dahin bleiben wir einfach bei dem Begriff Psychotherapeut.
    Ab und zu muss auch der Psychotherapeut seine Praxis verlassen. Unter Umständen kommt es dann zu Begegnungen mit Menschen, die sich für normal halten, weil sie noch nie eine psychotherapeutische Praxis von innen gesehen haben. Außer vielleicht, um dort den Zähler abzulesen oder die Heizung zu warten. Und so kann es passieren, dass man mit jemandem ins Gespräch kommt, der eigentlich ganz harmlos aussieht, vielleicht im Biergarten oder auf einer Party.
    Und man muss feststellen: Huch, das ist ja ein Psychotherapeut.
    Im Mittelalter gab es die sogenannten »unehrlichen Berufe«. Das hat nichts mit Trickdieben oder Hütchenspielern zu tun, sondern sollte besser mit »unehrenhafte Berufe« übersetzt werden. Dazu gehörten zum Beispiel der Scharfrichter und der Totengräber, aber auch der Gerber. Das ging so weit, dass der Scharfrichter in der Schenke seinen eigenen Hocker und seinen eigenen Becher hatte, damit niemand sich mit seiner Unehrenhaftigkeit ansteckte.
    Auch heute noch gibt es Berufe, die den Ruch des Unehrenhaften haben. Die meisten Eltern wären nicht unbedingt begeistert, wenn ihre Tochter erzählt, dass sie sich in einen Bestatter verliebt hat. Es sei denn, der Vater trägt schwarzes Augen-Make-up und benutzt einen Totenkopf als Aschenbecher und die Mutter geht jedes Wochenende auf Gothic-Konzerte.
    Manchmal frage ich mich, ob Psychotherapeut auch ein in diesem Sinne »unehrlicher Beruf« ist. Zumindest reagieren viele Menschen, als ob es einer wäre.
    Kürzlich zappte ich im Fernsehen zu einer dieser anspruchsvollen, zu später Stunde ausgestrahlten Talkshows. Der Moderator, einer von der ruhigen, intellektuellen Sorte, erfuhr offenbar erst am Ende der Sendung, dass einer seiner Gäste eine Psychotherapeutin war. Er reagierte auf diese Eröffnung mit: »Wenn ich das gewusst hätte!« Erklären musste er diesen Ausspruch nicht. Dass man bei Psychotherapeuten aufpassen muss, versteht sich ja von selbst.
    Als ich jung war, irgendwann im letzten Jahrtausend, bekam man kurz vor dem Eintritt ins Erwachsenenleben üblicherweise einen Knigge geschenkt, in dem fast alles stand, was man so über das Leben wissen musste. Wir erfuhren, wie man einen Bischof anredet und wann die beste Zeit ist, bei den neuen Nachbarn seine Visitenkarte abzugeben, um einen Antrittsbesuch anzukündigen. Wobei auch damals die meisten Nachbarn überaus erheitert reagiert hätten, wäre man tatsächlich auf diese Idee gekommen.
    Ich kann mich nicht erinnern, ob in irgendeinem Benimmbuch etwas darüber stand, wie man einen Psychotherapeuten begrüßt, wenn man ihn außerhalb seiner Praxis trifft.
    Wenn man einem schlecht gelaunten Berggorilla begegnet, ist es am besten, sich auf den Boden zu werfen und ihm sehr deutlich zu signalisieren, dass man ihn nicht nur für den Chef hält, sondern dass es einem eine Ehre wäre, in seiner Horde ganz, ganz unten anzufangen. Bei einem Löwen hingegen wäre das eine ausgesprochen blöde Idee, fast so dumm wie wegzulaufen. Bei ihm kann man seine Überlebenschancen deutlich steigern, wenn man sich so groß wie möglich macht, laut schreit und wild herumfuchtelt.
    Da wir für viele Menschen offenbar eine Kreuzung zwischen Hütchenspieler und Berggorilla sind, etwas jedenfalls, dem man nicht traut oder das einen einschüchtert, ist es vielleicht besser, wenn wir beide uns einander langsam annähern. Also treffen wir uns besser nicht in meiner Praxis, sondern wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher