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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr
Autoren: Swati Avasthi
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Treppen hoch. Im zweiten Stock muss ich stehen bleiben. Der rote Flauschteppich hat seit den Siebzigern Gerüche aufgesogen – daran muss man sich erst mal gewöhnen. Ich halte mir die Nase zu, als wollte ich tauchen, und atme durch den Mund. Noch schlimmer. Jetzt kann ich den Mief aus Hasch und Katzenpisse auch noch schmecken . Das heißt, ich hoffe, dass es Katzenpisse ist. Ich schließe den Mund und wünschte, ich müsste nicht atmen, während ich in den vierten Stock hochhaste, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
    Goldenes Türschild auf dunkelbraunem Holz. Ich presse meine Handfläche dagegen, als könnte ich mit der Tür Freundschaft schließen, sie auf meine Seite bringen. Ich klopfe und warte. Ich weiß, manche Leute erstarren wie ein Hase im Licht eines Autoscheinwerfers, wenn sie Panik bekommen. Ihre Lungen sind wie zugeschnürt, ihre Muskeln verkrampfen sich, sogar ihre Gedanken kommen zum Stillstand. Aber ich – ich hab den Fuß auf dem Gas und die Straßenkarte flattert aus dem Fenster. Meine Fantasie beschwört eine Szene nach der anderen herauf:
    Er wird die Tür aufreißen und mich drücken, bis ich keine Luft mehr bekomme. Auf einem Banketttisch wird ein Festmahl von Pizza auf mich warten: vier Pizzen, alle mit Ananas und Peperoni. (Okay, hier spielt vielleicht mit rein, dass ich seit zehn Stunden nichts gegessen habe.) Er wird einen Arm um meine Schulter legen und sagen: »Ich hab dich nie ganz aus den Augen gelassen, selbst von hier aus.«
    Oder vielleicht wird mir ein süßlicher Grasgeruch entgegenkommen und seine Haare werden wild zu Berge stehen und er wird mir die $ 3 . 84 abluchsen, die ich noch übrig habe.
    Oder vielleicht wird er mich gar nicht erkennen.
    Die Tür geht auf und ein Schwall von Ingwer und Knoblauch überlagert den Hasch-Piss-Geruch. Mein Magen macht einen Satz, als wollte er allein zur Tür reinspringen.
    Eine asiatische Frau, vielleicht Ende zwanzig, steht in der Tür. Ihr Haar ist hochgesteckt und sie trägt ein kurzes schwarzes Kleid. Ihre Augen wandern an mir rauf und runter und wieder rauf. Sie knallt die Tür zu. Mist .
    Durch die Wand höre ich eine Stimme näher kommen. Unverkennbar Christians Tenor. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
    »Was ist denn los, Mirriam?«
    »Der Typ ist nicht von FedEx.«
    Ich schiebe den Briefumschlag unter der Tür durch.
    »Oh Gott«, sagt er.
    Der Türknauf dreht sich und Mirriam sagt: »Nein, nicht. Mit dem stimmt was nicht.«
    Ich schnaube. Sie kennt noch nicht einmal meinen Namen und sie hat mich schon abgestempelt.
    »Christian?«, rufe ich durch die Tür. Meine Stimme zittert.
    Der Lichtstreifen auf dem Teppich wird zu einem Dreieck, als die Tür sich langsam öffnet.
    Mein Bruder. Immer noch größer als ich. Gute zehn Zentimeter. Sein Gesicht ist länger und dünner geworden. Sein sehniger Nacken verrät, dass er noch immer ein begeisterter Läufer ist. Ich frage mich, ob er es wohl inzwischen zum Boston-Marathon geschafft hat. Als wenn das jetzt eine Rolle spielte. Er ist erst zweiundzwanzig, aber an seinen Augen zeichnen sich kleine Falten ab. Er trägt einen schwarzen Anzug. Der Knoten seiner Krawatte hängt unterhalb seines Schlüsselbeins und der oberste Hemdknopf ist offen.
    Mirriam steht hinter ihm, einen Baseballschläger über der Schulter.
    »Jace«, stößt er hervor.
    Er mustert mich nicht, starrt mich nicht an, aber er umarmt mich auch nicht. Seine Lippen bewegen sich nach oben, aber ich kann sein Lächeln nicht deuten. Er reckt den Hals und späht um die Tür, als suche er nach Mom.
    »Bloß ich«, sage ich.
    Er beginnt die Tür zuzumachen, aber dann bleibt sie halb offen stehen, während er ein paar Sachen von den Kleiderhaken und vom Boden zusammensucht. Mirriam steht da immer noch in Batter-Haltung und wartet ab, was für einen Pitch ich werfen werde. Mädchen, ich hab gar nicht genug Power, um den Ball über die Home Plate zu jagen. Als Christian die Tür wieder aufstößt, hat er eine Jacke über dem Arm und an seinen Fingern baumeln ein Paar schwarze High Heels. Er reicht ihr die Schuhe.
    »Oh«, sagt sie. »Bin ich … soll ich …?« Sie schlüpft mit ihren nylonglänzenden Füßen in ihre Stöckelschuhe.
    Er drückt ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich versuch, es wiedergutzumachen. Versprochen.«
    Seine Stimme ist so leise, so sanft, dass ich meinen Atem anhalten muss, um ihn zu verstehen.
    »Ist schon in Ordnung«, sagt sie. »Das hier ist offensichtlich wichtiger.«
    »Dringender«, korrigiert
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